Am Flohmarkt jubeln die Literaten ...
Ein Inselkenner lässt die Vergangenheit Revue passieren (Teil 35): Wie Axel Thorer in Consell auf einen Brief der Gerhart-Hauptmann-Witwe Margarte stieß
Zuerst fiel mir der Briefkopf auf und er lautete so:
Frau Dr. Gerhart Hauptmann
Später die Irrsinns-Unterschrift (groß wie ein Gemälde) auf dieser losen Briefseite: 18 schwarze einzelne Buchstaben quer über das Blatt, jeder mindestens zwei mal zwei Zentimeter groß:
Margarete Hauptmann
Drittens der Absender:
Ebenhausen b. München, Sanatorium
Datum: 22. 9. 56.
Empfänger: Frau Johanna Hirth
Und schließlich der rätselhafte Textbereich: Was die Witwe des großen deutschen Dichters mitzuteilen hat, ist anders geschrieben als die Signatur und noch dazu in germanischem Deutsch, Sütterlin nennt man es, glaube ich.
Der Brief lag auf einem Wackeltischchen des Flohmarktes in Consell. Zwischen Touristen-Postkarten und Lorenç de Villalongas zerfledderter Touristenbroschüre von 1955.
Ein echter handgeschriebener Brief! Aber wie kam der erstens nach Mallorca und zweitens ins Ramschangebot?
Konnte ich nie klären, es war eigentlich auch egal, der Brief selbst war die Sensation, eine literarische Trouvaille. Denn die Margarete Hauptmann hat nie die Welt begriffen und beklagt, wie erbärmlich es ihrem Mann, dem von den Nazis hochgelobten Literaturnobelpreisträger von 1912, dem Luxus-Privilegierten und Vorzeige-Intellektuellen der braunen Proleten, im Krieg und danach ergangen sei. Sie schreibt fast genau zehn Jahre nach seinem Tod:
Was könnte ich Ihnen erzählen von dem Martyrium seiner letzten Lebensjahre: ‚Der Tod ist die mildeste Form des Lebens, der ewigen Liebe Meisterstück!’
Das angebliche „Martyrium” war, dass es Gerhart Hauptmann trotz der Bonzenprotektion in den letzten Kriegsjahren und nach 1945 nicht anders erging als allen Deutschen. Recht so! Es gab keinen Kaviar mehr auf Fingerschnippsen, nicht mal anständiges Schreib- und Toilettenpapier. Nix Privilegien mehr, denn es war Krieg, und da rotzt sie so einen halbliterarischen Zweizeiler samt Aufseufzzeichen aufs Blatt. Die Welt war untergegangen, jawohl, und weil das so war, konnte ein noch größeres Inferno verhindert werden. Aber die Witwe war zu dämlich, um zu begreifen, dass sie das Leid der Niederlage, die Folgen des braunen Irrsinns mitzutragen hatte. Vielleicht sogar zu büßen ...
Seltsam, was alles auf einem Flohmarkt der Emigranten-Insel Mallorca herumliegt! Ich habe den Brief für 120 Euro an ein Antiquariat verkauft. In Consell hatten sie fünf Euro dafür verlangt. Das Erlebnis des Briefes und sein Preis haben sich für mich gelohnt. Trotz des Ärgers über „Frau Dr. Gerhart Hauptmann” ...
Der Brief selbst war die Sensation, eine literarische Trouvaille
Der Autor ist Journalist und Publizist im Ruhestand mit Finca im Inselosten. Nach Mallorca kam er erstmals im Jahre 1958