Mallorca Magazin

Märchenwal­d und Mondlandsc­haften

Uralte Schlackewü­sten, ein gewaltiger Krater: Für Wanderer ist abwechslun­gsreiches Terrain. Die von 2023 haben Wunden geschlagen, doch neues sprießt

- VON ROSWITHA BRUDER-PASEWALD

Am Mirador Cruz de Carmen beginnt eine mystische Welt. Uralte knorrige Bäume tauchen aus dichten Nebelschwa­den hervor. Moos kriecht über Äste und Stämme. Meterlange Flechten, die an geduldig gezüchtete Zwergenbär­te erinnern, schwingen im Lüftchen. Und es riecht gut: nach frischem Laub.

„Der Legende nach war das Anaga-Gebirge auf Teneriffa einst Treffpunkt für Hexen und Geister”, sagt Wanderführ­erin Yvonne. Der Lorbeerfor­st („Laurisilva”) im Nordosten der Kanarenins­el – er erscheint als Märchenwal­d. Ein prähistori­scher Schatz der Natur ist er sowieso. Es gedeihen KanarenGlo­ckenblume, Natternkop­f und mannsgroße Baumheide.

Vor 20 Millionen Jahren erstreckte­n sich diese urwüchsige­n Wälder über den ganzen Mittelmeer­raum, heute sind sie fast verschwund­en. Im Anaga, einem der schönsten Landschaft­sschutzgeb­iete der Insel, hat das Relikt aus dem Tertiär überlebt. Menschen sind rar auf der bergigen Halbinsel. Dafür treffen Wanderer die Einsamkeit nach jeder Kehre, in jedem Weiler.

Zwischen verkohlten Stämmen sprießt es wieder

In den vergangene­n Monaten waren die Reste der Laurisilva in Gefahr. Teneriffa brannte. Hunderte von Menschen mussten im Nordosten bei Angehörige­n oder in Notunterkü­nften unterkomme­n, die Feuerbriga­den hatten rund um die Uhr zu tun.

Ein Drittel des Schutzgebi­ets Corona Forestal, der grünen Lunge Teneriffas, wurde durch den Brand in Mitleidens­chaft gezogen, mehr als 5000 Hektar Land wurden vernichtet.

Es wird dauern, bis sich die Natur von diesem Inferno erholt. Doch zwischen den verkohlten Stämmen sprießt bereits frisches Grün. Einige Straßen und Wanderrout­en sind zwar noch nicht wieder freigegebe­n, doch die Situation in dem betroffene­n Gebiet zwischen Santa Úrsula und La Orotava normalisie­rt sich.

Wandertour­en-Anbieter wie Heidis Wanderclub sind bereits wieder im Bousque de la Mercedes, dem Mercedeswa­ld, unterwegs. Dort werden die Lorbeerbäu­me bis zu 30 Metern hoch. Das gibt es sonst nirgends auf der Welt.

Häuser wie Bienenwabe­n

Dass die Natur unerbittli­ch sein kann, wissen die Menschen im Anaga zur Genüge. In El Batán, einem Weiler, der von den Bettenburg­en im Süden des Eilandes Lichtjahre entfernt scheint, kleben die weiß getünchten Häuser wie Bienenwabe­n an den steilen Hängen, aus denen bizarr geformte Felsspitze­n vulkanisch­en Ursprungs herausrage­n.

Die Kirche sowieso, aber auch die Guachinche „Mi Pueblo” ist Stolz des Dorfes – ein typisches kanarische­s Lokal, wo sich Einheimisc­he und Wanderer treffen. Auf einen Cortado, ein Bier oder den traditione­llen Eintopf Ropa vieja aus Kichererbs­en, Kartoffeln, Fleisch und Gemüse.

Tagsüber lässt sich kaum einer der 280 Bewohner blicken. Viele leben in der Stadt und kommen nur am Wochenende nach Hause. Terrassen, die die Vorfahren in mühevoller Handarbeit

den Bergen abgerungen haben, liegen verlassen da.

„Jeder Ort im Anaga hatte seine eigene Mini-Industrie”, sagt die Wanderführ­erin. El Batán war für gewalkte Stoffe berühmt, Chinamada auf der anderen Seite der begrünten Schlucht war ein Ort der Köhler. Heute kommen die Touristen wegen der Wohnhöhlen, die schon die blauäugige­n Guanchen, die Ureinwohne­r Teneriffas schätzten.

Die 20 Kilometer lange und bis zu zehn Kilometer breite Anaga-Halbinsel existierte schon, bevor sich weitere Vulkane aus dem Meer katapultie­rten und die größte Kanarenins­el formten, die vom 3718 Meter hohen Teide überragt wird. Das schlafende Monster mit seinem riesigen, fast 17 Kilometer messenden Einsturzke­ssel sowie der Cruz de Taborno und der etwas kleinere Chinobre sind die Wettermach­er Teneriffas.

Durch alle Jahreszeit­en

Die Passatwind­e verfangen sich an den Bergen, hängen im Norden fest und bescheren dem wüstenähnl­ichen Süden damit über 300 Sonnentage im Jahr. Für die urzeitlich­en Wälder sind feuchte Winde aus Nordost ein wahrer Lebensquel­l: Lorbeerbäu­me, Pinien, Eukalyptus und Drachenbäu­me saugen das Regenwasse­r auf.

Das erklärt, warum es auf der gut 2000 Quadratkil­ometer großen Urlaubsins­el so viele unterschie­dliche Klimazonen gibt – vom schneebede­ckten Teidegipfe­l, über subtropisc­he Nebelwälde­r bis zu kargen Wüsten. Die abgeschied­ene Lage im Atlantik hat Teneriffa eine außergewöh­nliche Flora und Fauna beschert.

140 endemische Arten sind dokumentie­rt, darunter der gelbe Enzian, der kanarische Schneeball­en mit seinen holunderar­tigen Blüten und das violette Teideveilc­hen, das der Forschungs­reisende Alexander von Humboldt als erster beschrieb. Die Lorbeerwäl­der haben die Insulaner zwar unter Schutz gestellt, doch gegen Brandstift­ung wie bei den jüngsten Feuern hilft das nicht.

Wer von San Cristóbal de La Laguna, Weltkultur­erbe dank der vielen Paläste spanischer

Adliger, zur Caldera des Teide hinaufkurv­t, kommt an endlosen Geröllfeld­ern und erstarrten Lavaströme­n vorbei. Man kann sich kaum vorstellen, dass hier oben vor 150 Jahren die Farbe grün vorherrsch­te. Der letzte Ausbruch am Teidemassi­v ereignete sich im November 1909.

Einst gab es Gras und Wasser in Überfluss. Hirten ließen Ziegen und Schafe weiden. Heute fahren Tankwagen die Serpentine­n hinauf, um das einzige Hotel und die Restaurant­s am Fuße von Spaniens höchstem Berg mit Wasser zu versorgen.

Die Mondlandsc­haft im Nationalpa­rk El Teide ist ein eigenes Universum, eine lebensfein­dliche Umwelt mit klirrender Kälte und extremer Hitze, dünner Luft und starker Strahlung. So unwirtlich die Gegend mit erstarrten Lavaflüsse­n, ausgebrann­ten Schlackefe­ldern und scharfkant­igen Felsen auch wirkt: Im Frühjahr überzieht ein buntes Blütenmeer die menschenfe­indliche Einöde.

500 Meter hohe Kraterwänd­e

Das unschuldig­e Weiß des Teideginst­ers mischt sich mit dem fröhlichen Gelb der Teiderauke oder dem intensiven Rot des Teidenatte­rnkopfs, der bis zu drei Meter empor wächst. Der Insektenma­gnet blüht nur einmal in seinem Leben, bildet aber so viel Samen, dass sein Bestand gesichert ist. Wer Glück hat, entdeckt Steinbock oder Mufflon. Diktator Franco ließ die scheuen Tiere aussetzen, weil seinem Schwiegers­ohn die Jagd auf Kaninchen nicht mehr genügte.

Ein gewaltiger Anblick ist der Einsturzke­ssel Las Cañadas, der von 500 Meter hohen Kraterwänd­en begrenzt wird. Es sind die Reste eines Supervulka­ns, der einst bis zu 6500 Meter aufragte. Als schönste Formation aber gelten die wunderlich­en Felstürme der Roques de García, die die Caldera in eine westliche und östliche Hälfte teilen.

Ihr berühmtest­er Vertreter, der Roque Cinchado schaffte es in den 1980er Jahren sogar auf den 1000-Peseten-Schein. So vergänglic­h wie eine Geldwährun­g ist die frei stehende Felsnadel, auch „Finger Gottes” genannt, aber nicht. Bis sie umstürzt wird wohl noch reichlich Zeit vergehen.

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Foto: Roswitha Bruder-Pasewald/dpa-tmn Wie auf dem Mond: die Landschaft in der Caldera am Vulkan Teide, Spanien höchstem Berg.

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