Auf den Spuren der Vergangenheit
Die Neuntklässler der Deutschen Schule Eurocampus forschten im Rahmen einer Projektarbeit über den Spanischen Bürgerkrieg und das Franco-Regime. Ein Rundgang durch Palma führte sie an historische Stätten
Die Sala Augusta schräg gegenüber der Plaça Espanya in Palma hat schon der eine oder Schüler von innen gesehen, beim Besuch eines Films in dem Kino. Doch kaum jemand ahnt die Vorgeschichte des Lichtspielhauses direkt neben dem Bahnhof des Sóllerzugs. Früher befand sich dort, wo heute das Popcorn süßlich duftet, eine zugige Lagerhalle, in der Baumaterialien verkauft wurden. Bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs im Sommer 1936 wurde Can Mir, so der Name des Handelsunternehmens, rasch in ein Gefängnis umgewandelt. Hier wurden auf engstem Raum zeitweise mehr als 1000 Männer zusammengepfercht, mussten direkt neben den Eisenbahngleisen bei Sonnenglut und Winterkälte teils unter freiem Himmel dahinvegetieren. Noch mehr gefürchtet waren aber dort die sogenannten „Entlassungen”, die an manchen Tagen zu später Stunde verkündet wurden: Insbesondere in den ersten Monaten des Kriegs wurden abends einzelne Namen aufgerufen, die Häftlinge scheinbar auf freien Fuß gesetzt. Tatsächlich wurden sie jedoch in die Hände von rechtsradikalen Milizen gegeben, die schon vor dem Tor warteten, und die Männer auf Lastwagen in entfernte Dörfer wie etwa nach Porreres verfrachteten, wo sie ohne jedes Rechtsverfahren noch Urteil bei Nacht und Nebel an der Außenmauer des Friedhofs hingerichtet wurden. Die Leichen ließen die gedungenen Mörder dann auf dem Gottesacker in anonymen Massengräbern verscharren.
Im Sonnenschein auf den Bürgersteigen der Avenidas von Palma, über die unzählige Einheimische wie Touristen vorbeieilen, wirkt die geschilderte Vergangenheit nahezu ebenso fiktiv wie die Handlung der Hollywoodfilme, wie sie in der Sala Augusta gezeigt werden. Wäre da nicht die unscheinbare Gedenktafel auf Katalanisch, die seit 2010 an das Leiden und Sterben der Häftlinge erinnert. Ungläubig starren die Neuntklässler auf den eingravierten Text. „Warum hier?”, fragt eine Schülerin. Sicherlich auch aus praktischen Gründen. Die Gefangenen, allesamt Gegner des Franco-Regimes, wurden aus vielen Teilen der Insel hierher geschafft, nicht wenige von ihnen per Eisenbahn. Die Baustoffhalle lag dann nur ein paar Schritte entfernt ...
Weiter geht es für die 20 Schüler des Eurocampus’ samt ihrer Geschichtslehrerin Julia Hellberg durch die Altstadt zur Rambla. Die Verlängerung der herrlichen Platanenallee heißt Via Roma, als Anerkennung für die Militärhilfe, die das faschistische Italien dem aufständischen spanischen General Francisco Franco leistete. Ein handsigniertes Foto von 1937 hält jenen Moment fest, als bei der Namensänderung der Straße auch zwei Statuen römischer Legionäre auf der Rambla installiert wurden: „Aus Dank an die lateinische Schwester, das unvergleichliche Italien”, heißt es in dem Text. Die Skulpturen stehen ebenfalls noch heute an Ort und Stelle, kein einziger Hinweis lässt erahnen, dass sie dereinst als Tribut für Mussolinis Eingreifen im Bürgerkrieg dort aufgestellt wurden.
Der Umgang Palmas mit seinen faschistischen und/oder franquistischen Überbleibseln ist höchst unterschiedlich. So gibt es an manchen Orten im Stadtgebiet Denkmäler und Monumente, die, anders als die beiden Legionäre, zwar nicht ignoriert, aber auch nicht anderweitig erklärt, sondern lediglich schlicht kaschiert werden. So etwa ein grimmiger Franco-Adler aus Stein an der Stirnseite der heutigen Hauptpost. Er ist seit etlichen Jahren hinter einem kastenartigen, gelben „Correos”-Logo verborgen. Just an jenem Platz, der einst den Namen des Gründers der rechtsextremen FalangePartei, José Antonio Primo de Rivera, trug, bevor die Plaça in Verfassung, also „Constitució” umgetauft wurde. Von dort sind es nur wenige Schritte bis zum ehemaligen „Kreuz der Gefallenen für Gott und Spanien”, das noch während des Krieges am Stadtbalkon zwischen Kathedrale und Almudaina-Palast errichtet worden war. Von 1937 bis 2009 hatte es dort auf einem gemauerten Sockel aus Gesteinsbrocken in die Höhe geragt. Dann wurde das Monument per Bagger abgerissen, getreu dem neuen Gesetz zur Aufarbeitung der historischen Vergangenheit, das die Beseitigung aller Monumente vorsah, die im Verdacht standen, die Franco-Zeit und die Gewalttaten des Bürgerkrieges zu verherrlichen. Heute verweist lediglich der unterschiedliche Straßenbelag auf jene Stelle, an der das Kreuz gestanden hatte.
Einen ernsthaften Versuch, die Vergangenheit für nachfolgende Generationen begreifbar zu machen, unternahm der Stadtrat von Palma im Sa-Feixina-Park westlich der Altstadt. Hier erinnerte seit 1948 ein stilisierter Leuchtturm an den Untergang des franquistischen Kriegsschiffes „Baleares”, bei dem im März 1938 fast 800 Seeleute, darunter viele Seekadetten aus Mallorca im Alter der Neuntklässler, ums Leben kamen. Jahrzehntelang hatte der martialische Gedenkspruch den Heldentod der „Heroen des Kreuzers” verherrlicht und „Viva España” verkündet. Immer wieder wurde darum gefordert, das Denkmal zu beseitigen. Die Debatte wurde hitzig geführt, denn die Säule war einst von Spendengeldern der Hinterbliebenen finanziert worden. Am Ende setzte das Rathaus auf einen Kompromiss und widmete das Denkmal um: Die Steinbuchstaben wurden 2010 abgeschliffen, ein mittlerweile verfassungswidriger Adler ebenso. Ein Zusatztext in vier Sprachen, darunter in fehlerhaftem Deutsch, wurde am Wasserbecken in Eisen gefasst, um den „demokratischen Willen der Stadt kundzutun, an die Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg zu erinnern”.
Mit anderen Worten: Dieses Denkmal wurde neu interpretiert, damit auch nachfolgende Generationen das damalige Geschehen einordnen können. Nichtsdestotrotz beschloss eine linke Rathausmehrheit im Jahre 2017 den Komplettabriss des Monuments. Seitdem wurde vor Gericht darüber gestritten, mit meist mehr Erfolg für die Befürworter, die sich für eine Bewahrung der Kompromisslösung starkmachen. Auch die Schülergruppe sprach sich mit überwältigender Mehrheit für die Bewahrung der Säule aus. „Denn in Büchern kann viel stehen”, sagte eine Schülerin, „aber so etwas direkt vor Ort zu sehen, ist eben doch etwas ganz anderes.”