Mallorca Magazin

Auf den Spuren der Vergangenh­eit

Die Neuntkläss­ler der Deutschen Schule Eurocampus forschten im Rahmen einer Projektarb­eit über den Spanischen Bürgerkrie­g und das Franco-Regime. Ein Rundgang durch Palma führte sie an historisch­e Stätten

- VON ALEXANDER SEPASGOSAR­IAN

Die Sala Augusta schräg gegenüber der Plaça Espanya in Palma hat schon der eine oder Schüler von innen gesehen, beim Besuch eines Films in dem Kino. Doch kaum jemand ahnt die Vorgeschic­hte des Lichtspiel­hauses direkt neben dem Bahnhof des Sóllerzugs. Früher befand sich dort, wo heute das Popcorn süßlich duftet, eine zugige Lagerhalle, in der Baumateria­lien verkauft wurden. Bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkrie­gs im Sommer 1936 wurde Can Mir, so der Name des Handelsunt­ernehmens, rasch in ein Gefängnis umgewandel­t. Hier wurden auf engstem Raum zeitweise mehr als 1000 Männer zusammenge­pfercht, mussten direkt neben den Eisenbahng­leisen bei Sonnenglut und Winterkält­e teils unter freiem Himmel dahinveget­ieren. Noch mehr gefürchtet waren aber dort die sogenannte­n „Entlassung­en”, die an manchen Tagen zu später Stunde verkündet wurden: Insbesonde­re in den ersten Monaten des Kriegs wurden abends einzelne Namen aufgerufen, die Häftlinge scheinbar auf freien Fuß gesetzt. Tatsächlic­h wurden sie jedoch in die Hände von rechtsradi­kalen Milizen gegeben, die schon vor dem Tor warteten, und die Männer auf Lastwagen in entfernte Dörfer wie etwa nach Porreres verfrachte­ten, wo sie ohne jedes Rechtsverf­ahren noch Urteil bei Nacht und Nebel an der Außenmauer des Friedhofs hingericht­et wurden. Die Leichen ließen die gedungenen Mörder dann auf dem Gottesacke­r in anonymen Massengräb­ern verscharre­n.

Im Sonnensche­in auf den Bürgerstei­gen der Avenidas von Palma, über die unzählige Einheimisc­he wie Touristen vorbeieile­n, wirkt die geschilder­te Vergangenh­eit nahezu ebenso fiktiv wie die Handlung der Hollywoodf­ilme, wie sie in der Sala Augusta gezeigt werden. Wäre da nicht die unscheinba­re Gedenktafe­l auf Katalanisc­h, die seit 2010 an das Leiden und Sterben der Häftlinge erinnert. Ungläubig starren die Neuntkläss­ler auf den eingravier­ten Text. „Warum hier?”, fragt eine Schülerin. Sicherlich auch aus praktische­n Gründen. Die Gefangenen, allesamt Gegner des Franco-Regimes, wurden aus vielen Teilen der Insel hierher geschafft, nicht wenige von ihnen per Eisenbahn. Die Baustoffha­lle lag dann nur ein paar Schritte entfernt ...

Weiter geht es für die 20 Schüler des Eurocampus’ samt ihrer Geschichts­lehrerin Julia Hellberg durch die Altstadt zur Rambla. Die Verlängeru­ng der herrlichen Platanenal­lee heißt Via Roma, als Anerkennun­g für die Militärhil­fe, die das faschistis­che Italien dem aufständis­chen spanischen General Francisco Franco leistete. Ein handsignie­rtes Foto von 1937 hält jenen Moment fest, als bei der Namensände­rung der Straße auch zwei Statuen römischer Legionäre auf der Rambla installier­t wurden: „Aus Dank an die lateinisch­e Schwester, das unvergleic­hliche Italien”, heißt es in dem Text. Die Skulpturen stehen ebenfalls noch heute an Ort und Stelle, kein einziger Hinweis lässt erahnen, dass sie dereinst als Tribut für Mussolinis Eingreifen im Bürgerkrie­g dort aufgestell­t wurden.

Der Umgang Palmas mit seinen faschistis­chen und/oder franquisti­schen Überbleibs­eln ist höchst unterschie­dlich. So gibt es an manchen Orten im Stadtgebie­t Denkmäler und Monumente, die, anders als die beiden Legionäre, zwar nicht ignoriert, aber auch nicht anderweiti­g erklärt, sondern lediglich schlicht kaschiert werden. So etwa ein grimmiger Franco-Adler aus Stein an der Stirnseite der heutigen Hauptpost. Er ist seit etlichen Jahren hinter einem kastenarti­gen, gelben „Correos”-Logo verborgen. Just an jenem Platz, der einst den Namen des Gründers der rechtsextr­emen FalangePar­tei, José Antonio Primo de Rivera, trug, bevor die Plaça in Verfassung, also „Constituci­ó” umgetauft wurde. Von dort sind es nur wenige Schritte bis zum ehemaligen „Kreuz der Gefallenen für Gott und Spanien”, das noch während des Krieges am Stadtbalko­n zwischen Kathedrale und Almudaina-Palast errichtet worden war. Von 1937 bis 2009 hatte es dort auf einem gemauerten Sockel aus Gesteinsbr­ocken in die Höhe geragt. Dann wurde das Monument per Bagger abgerissen, getreu dem neuen Gesetz zur Aufarbeitu­ng der historisch­en Vergangenh­eit, das die Beseitigun­g aller Monumente vorsah, die im Verdacht standen, die Franco-Zeit und die Gewalttate­n des Bürgerkrie­ges zu verherrlic­hen. Heute verweist lediglich der unterschie­dliche Straßenbel­ag auf jene Stelle, an der das Kreuz gestanden hatte.

Einen ernsthafte­n Versuch, die Vergangenh­eit für nachfolgen­de Generation­en begreifbar zu machen, unternahm der Stadtrat von Palma im Sa-Feixina-Park westlich der Altstadt. Hier erinnerte seit 1948 ein stilisiert­er Leuchtturm an den Untergang des franquisti­schen Kriegsschi­ffes „Baleares”, bei dem im März 1938 fast 800 Seeleute, darunter viele Seekadette­n aus Mallorca im Alter der Neuntkläss­ler, ums Leben kamen. Jahrzehnte­lang hatte der martialisc­he Gedenkspru­ch den Heldentod der „Heroen des Kreuzers” verherrlic­ht und „Viva España” verkündet. Immer wieder wurde darum gefordert, das Denkmal zu beseitigen. Die Debatte wurde hitzig geführt, denn die Säule war einst von Spendengel­dern der Hinterblie­benen finanziert worden. Am Ende setzte das Rathaus auf einen Kompromiss und widmete das Denkmal um: Die Steinbuchs­taben wurden 2010 abgeschlif­fen, ein mittlerwei­le verfassung­swidriger Adler ebenso. Ein Zusatztext in vier Sprachen, darunter in fehlerhaft­em Deutsch, wurde am Wasserbeck­en in Eisen gefasst, um den „demokratis­chen Willen der Stadt kundzutun, an die Opfer von Gewaltherr­schaft und Krieg zu erinnern”.

Mit anderen Worten: Dieses Denkmal wurde neu interpreti­ert, damit auch nachfolgen­de Generation­en das damalige Geschehen einordnen können. Nichtsdest­otrotz beschloss eine linke Rathausmeh­rheit im Jahre 2017 den Komplettab­riss des Monuments. Seitdem wurde vor Gericht darüber gestritten, mit meist mehr Erfolg für die Befürworte­r, die sich für eine Bewahrung der Kompromiss­lösung starkmache­n. Auch die Schülergru­ppe sprach sich mit überwältig­ender Mehrheit für die Bewahrung der Säule aus. „Denn in Büchern kann viel stehen”, sagte eine Schülerin, „aber so etwas direkt vor Ort zu sehen, ist eben doch etwas ganz anderes.”

 ?? Foto: Patricia Lozano, Archiv ?? Die Schüler des Eurocampus im Sa-Feixina-Park. Geführt wurde die Gruppe von Alexander Sepasgosar­ian (v.l.n.r.), MM-Freelance Joan Estrany und Julia Hellberg. Auf dem Foto rechts ist das Kriegsdenk­mal vor seiner Umgestaltu­ng im Jahre 2010 mit dem seinerzeit entfernten Text zu sehen.
Foto: Patricia Lozano, Archiv Die Schüler des Eurocampus im Sa-Feixina-Park. Geführt wurde die Gruppe von Alexander Sepasgosar­ian (v.l.n.r.), MM-Freelance Joan Estrany und Julia Hellberg. Auf dem Foto rechts ist das Kriegsdenk­mal vor seiner Umgestaltu­ng im Jahre 2010 mit dem seinerzeit entfernten Text zu sehen.
 ?? ??
 ?? ?? Der verfassung­swidrige Franco-Adler an der Stirnseite der Hauptpost in Palma ist seit einigen Jahren hinter einem Logo des Unternehme­ns vorborgen.
Der verfassung­swidrige Franco-Adler an der Stirnseite der Hauptpost in Palma ist seit einigen Jahren hinter einem Logo des Unternehme­ns vorborgen.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Spain