Mein Mörder
Ein Inselkenner lässt die Vergangenheit Revue passieren (Folge 38): Warum Axel Thorer in die Psyche von Rudolph M. eindrang
Ich habe ein Buch über diese Tat geschrieben, den Mörder aus juristischen Gründen umbenannt, die Tatwaffe verändert und den Tatort namentlich verschleiert, bin aber sonst (Geständnis, Motiv, Gerichtsverhandlung, Strafe, besondere Umstände) dicht an der Wahrheit geblieben. Dann habe ich ihn gesucht, sogar im Gefängnis – und heute lebt er immer noch, ist störrisch und rachsüchtig und möchte nach Mallorca zurück ...
Mörder Rudolph M., geboren in Bayern, ausgewandert nach Cala Murada (Mallorca). Jahrgang? 1934. Ex-Beruf? Drucker. Gemütsverfassung? Choleriker. Opfer? Ehefrau. Tatort? Veranda des eigenen Häuschens. Tatwaffe? Gewehr (bei mir ein Bügeleisen). Tatzeitpunkt? 2003. Verurteilt? 2006 zu 16 Jahren. Gefängnis? Palma de Mallorca, aber dann wurde er nach Deutschland überstellt, in sein Heimat-Bundesland Bayern. Wohl aus Altersgründen, damit sie auf der Insel keinen lästigen toten Gefangenen auf dem Konto hatten, zumal M. nur Verwandte hat, die nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen.
Warum saß er seine volle Strafe ab und wurde nicht begnadigt? Wegen seiner Störrischkeit, seinen Unschuldserklärungen und seinen Drohungen gegen den Rest der Welt. Jetzt ist M. 92 Jahre alt und hat 16 Jahre hinter Gittern verbracht. Rückkehr nach Cala Murada? Das Häuschen gehört der Tochter der von ihm getöteten Ehefrau. Vermögen? Kaum, da er die Tochter für den Verlust der Mutter mit 150.000 Euro entschädigen musste (auch das verfügte der Richter in Palma). Was geschah mit Rudolph „Rudi“M.?
Ich weiß es erst seit kurzem, dabei kenne ich ihn ganz gut. Nicht nur weil ich in meinem Buch tief in seine Psyche eingedrungen bin, im Gericht saß und die Akten auswertete – ich kannte ihn auch persönlich. Wider Willen. Widerwillig. Denn zum einen wohnte meine Großmutter ein paar Jahre in unmittelbarer Nachbarschaft, zum anderen hatte M. es gewagt, mich in einer Gasolinera anzugreifen, als ich gerade unsere alte „Ente” betankte. Er packte mich an der Hemdbrust, schrie, ich hätte ihn eben „rücksichtlos und lebensgefährlich überholt” und erhob die freie Hand als Faust. Nun bin ich 1,91 Meter groß, vom lieben Gott mit herkulischen Kräften gesegnet und ehemaliger Eishockeyspieler; ich konnte mich unauffällig wehren und so wankte er bedribbelt zum Auto ...
Natürlich wusste ich damals nicht, dass er Rudolph M. hieß. Aber ich erkannte ihn wieder, als ich die Fotos sah, die ihn auf dem Weg zum Gericht zeigten (siehe unten). Und später, in der Verhandlung, wurde mir vollends klar, dass er mein Angreifer war, denn er benahm sich als Angeklagter manchmal ähnlich. Und noch ein Zufall: Als M. verhaftet wurde, saßen meine Frau und ich auf der Terrasse unseres Hauses, von der aus der Blick weit zur Küste hinunter schweift und Cala Murada in etwa drei Kilometer Luftlinie zu sehen ist. Plötzlich ertönte das typische „Tatütata” von Policia-Sirenen und die blauen Dachblinker rasten zur Urbanisation. „Da muss was Schlimmes passiert sein”, sagte meine Frau. Ja, da war gerade der Mord an der Ehefrau geschehen ...
Heute lebt Rudolph M. in einem therapeutisch betreuten Heim, sitzt schwerstbehindert im Rollstuhl nach grausamer Diabetes, das Mordhaus in Cala Murada stand ewig lange zum Verkauf, zum Schnäppchenpreis von rund 200.000 Euro, und ich habe in der Garage zwei 60 Jahre alte Autos, einen Fiat 600 und einen „Mehari“-Strandbuggy gesehen, die ihm immer noch gehören ...
Der Autor ist Journalist und Publizist im Ruhestand mit Finca im Inselosten. Nach Mallorca kam er erstmals im Jahre 1958