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«Nationalismus ist ein Übel in der Geschichte. Punkt.»
ZÜRICH. Wie ist die DoppeladlerAffäre zu bewerten? Zwei Wissenschaftler kommen teils zu unterschiedlichen Schlüssen.
War das Doppeladler-Zeichen ein politisches Statement oder purer Ausdruck von Freude?
Nenad Stojanovic: In diesem Kontext war das klar ein ethnonationalistisches und in dem Sinne auch ein politisches Statement. Wenn die beiden bei ihren Clubs spielen, drücken sie ihre Freude anders aus.
Samuel M. Behloul: Die beiden Spieler sagen, die Geste sei ein emotionaler Ausdruck gewesen, eine Art Dankeschön an alle Menschen, von denen man sich unterstützt und getragen fühle. Wenn man bedenkt, dass gerade die jungen Albaner immer wieder als angeb- lich die problematischste Community in der Schweiz skandalisiert werden, lässt sich die Doppeladler-Geste auch als Ausdruck des Stolzes interpretieren, dass man eben gerade als ‹unbeliebter Albaner› die entscheidenden Tore für die Schweiz bei der WM geschossen hat.
Mitspieler, Politiker, sogar Bundesräte solidarisieren sich mit den beiden; die Fifa leitet ein Verfahren ein – wer hat recht?
Nenad Stojanovic: Nationalismus ist ein Übel in der Geschichte der Menschheit. Punkt. Ich kann verstehen, wenn man jetzt versucht, die Lage zu entdramatisieren. Ich habe aber kein Verständnis dafür, wenn man sich mit solchen Gesten solidarisiert.
Samuel M. Behloul: Die Fifa verbietet Botschaften mit provokativem Charakter auf dem Fussballfeld. Das ist korrekt und sollte befolgt werden. Nun stellt sich die Frage, ab wann eine Geste als zu verbietende Provokation zu interpretieren sei.
Ist Fussball nicht auf archaische nationalistische Gefühle angewiesen?
Nenad Stojanovic: Ein gesunder und nicht gegen die anderen gerichteter Patriotismus gehört sicher zu einer WM. Ge- zielte Provokationen und aggressiver Ethnonationalismus hingegen sind fehl am Platz.
Samuel M. Behloul: Ohne ihre kosovarischoder bosnischstämmigen Spieler und dem kroatischstämmigen Trainer stünde die Schweizer Nati heute nicht da, wo sie jetzt steht. Vielleicht ist gerade der heutige Fussball der eigentliche Vorbote einer Welt, in der man nationale Identitäten, Zugehörigkeiten und Loyalitäten ganz anders wird definieren müssen.