20 Minuten - Deutschschweiz uberregional
20 Minuten spricht mit Schweizer IS-Kämpfer
QAMISHLI. Abu Wael al-Swissri (25) kämpfte für den IS. Lange war der Verbleib des Lausanners unklar. 20 Minuten hat ihn aufgespürt.
QAMISHLI. Vor drei Jahren zog Aziz B. zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Der Schweizer gibt sich naiv. Er habe nicht gewusst, dass er beim IS kämpfen müsse. Seit Anfang Jahr ist er Gefangener der syrischen Kurdenmiliz YPG. Diese möchte ausländische Kämpfer in die Herkunftsländer abschieben. Doch die Schweiz und andere Staaten verweigern die Hilfe.
Seit sieben Monaten ist Abu Wael al-Swissri Gefangener der syrischen Kurdenmiliz YPG. Daheim in Lausanne heisst er Aziz B.* 20 Minuten hat ihn aufgespürt und zwei Stunden mit ihm gesprochen. «Ich habe seit drei Jahren keinen Schweizer mehr gesehen. Ich bin froh, dass ich mit Ihnen sprechen kann. Es gibt mir das Gefühl, dass man mich hier nicht vergessen hat», sagt er. Der Schweizer mit bosnischen Wurzeln konvertierte nach eigenen Angaben 2013 zum Islam. Er traf in Lausanne in der Moschee von Prélaz mit bosnischen Extremisten zusammen, radikalisierte sich. 2015 heiratete er seine Frau Selina* – eine Schweizerin bosnischer Abstammung, ebenfalls aus Lausanne (siehe Box rechts).
Aziz und Selina kamen über Twitter mit einem IS-Rekrutierer in Kontakt. Er wies sie an, über Istanbul via Antalya und Alanya nach Gaziantep zu reisen; 2015 setzten sie nach Syrien über – die klassische Route westlicher IS-Kämpfer. Das Paar folgte der Propagandabotschaft des IS, wonach jeder gute Muslim ins «Kalifat» der Terrormiliz aufbrechen muss.
«Nach drei Tagen erkannte ich, dass es ein Fehler war», behauptet der 25-Jährige jetzt. «Am ersten Tag liessen sie uns schlafen, am zweiten nahmen sie mir den Pass ab, am dritten fragten sie mich, welche Aufgabe ich übernehmen wolle. Als ich sagte, dass ich in die Koranschule gehen wolle, antworteten sie: ‹Nein, mein Freund, du bist hier, um zu sterben.› Ich dachte erst, sie scherzten.»
In der IS-Hauptstadt Raqqa wurde er von Selina getrennt. Aziz sollte militärisch ausgebildet werden, sich für «den Kampf gegen die Ungläubigen rüsten». «Ich weigerte mich, ich wollte nicht kämpfen. Sie erwiderten, es sei meine Pflicht. Also sagte ich ihnen, dass ich wieder zurückreisen wolle. Sie lachten nur. ‹Du kannst nicht mehr zurück!›» Aziz beharrt darauf, nie für den IS gekämpft zu haben, nie jemanden getötet zu haben. Wie viele inhaftierte ISler stellt er sich als Opfer dar. Als einen, der naiv in sein Verderben gerannt ist, wo er doch das ShariaParadies erwartet hatte.
Als die Schweizer ins IS«Kalifat» aufbrachen, hatte die Terrormiliz Hochkonjunktur. Die Extremisten köpften Journalisten vor laufender Kamera, vergewaltigten jesidische Sklavinnen, töteten Menschen mit unglaublichem Sadismus. Rechtfertigt ein Leben im «Kalifat» diese Grausamkeiten? «Nein», sagt Aziz, aber ohne rechten Nachdruck. «Verstehen Sie, der IS zeigte ein Leben voller Möglichkeiten für Muslime auf. In Videos vermittelte er die Botschaft, dass er gegen das syrische Regime kämpft. Ich dachte, es sei ein gerechter Kampf.» Glaubt er das noch immer? «Nein, ich weiss nicht, was ich noch glauben soll.»
Nachdem Aziz das Training absolviert hatte, wurde er dem berüchtigten Bataillon Tariq ibn Ziad zugeteilt. Zu dieser Einheit kommen nur Ausländer. «Es hatte Portugiesen, Spanier, Belgier, Franzosen. Sicher dreihundert Ausländer kämpften dort, ich war der einzige Schweizer.» Aziz sagt weiterhin, dass er nicht habe kämpfen wollen. «Ich fiel deswegen in die Kategorie eines ‹Mutasaib›. Das ist einer, der keine Disziplin an den Tag legt, einer, der sich nicht an das Gesetz hält.» Im Januar 2017 durch die irakische Armee in Mosul sichergestellte Dokumente stützen seine Erzählungen teilweise. Gemäss diesen begründete der Schweizer seine Weigerung zu kämpfen mit Knieproblemen. Eine für diese Einheit nicht ungewöhnliche Strategie: Mehrere Fälle sind dokumentiert, in denen Kämpfer gesundheitliche Probleme – von Asthma bis Kopfweh – geltend machten.
Das Papier hält aber auch fest, dass al-Swissri Raketenwerfer und Maschinengewehre
«‹Nein, mein Freund, du bist hier, um zu sterben.› Ich dachte erst, sie scherzten.»
«Verstehen Sie, der IS zeigte ein Leben voller Möglichkeiten für Muslime auf.»