20 Minuten - Deutschschweiz uberregional
Kontrovers
Corona: Wie wichtig sind Fallzahlen noch?
KONTROVERS Für viele sind sie ein täglicher Begleiter: die Updates zu den Neuinfektionen. Auch für die Festlegung der Massnahmen, um das Virus einzudämmen, waren sie bislang eine feste Grösse. Das soll sich nun aber ändern, fordert Manfred Kopf, Professor für Molekulare Biomedizin an der ETH Zürich: «Es ist nicht mehr angebracht, an der Inzidenz als zentralem Faktor für die Beurteilung der Lage festzuhalten. Insbesondere dürfen künftig die Corona-Massnahmen nicht mehr mit den Fallzahlen begründet werden.» Kopf argumentiert, dass aufgrund der fortschreitenden Impfkampagne zwangsläufig weniger mittlere und schwere Fälle, Hospitalisationen und Todesfälle im Verhältnis zur Anzahl der Neuinfektionen auftreten würden.
Für GLP-Nationalrat Martin Bäumle, der sich mit einem selbst erstellten Modell mit den Kennzahlen der Pandemie auseinandersetzt, wäre es dagegen Schwachsinn, die Neuinfektionen jetzt nicht mehr zu berücksichtigen: «Würden wir nur noch auf die Hospitalisationen achten, wären wir erst gewarnt, wenn es schon zu spät ist. Hospitalisationen und Todesfälle
ereignen sich immer zeitlich verzögert zu einem Anstieg der Neuinfektionen.» Das werde sich auch mit einer höheren Durchimpfungsrate als den zurzeit knapp 42 Prozent nicht ändern. Bäumle: «Mit der Verschiebung der Krankheitslast werden vermehrt jüngere Patienten in die Spitäler kommen und länger dort bleiben.» Liessen wir jetzt die Fallzahlen ausser Acht, drohe eine erneute Überlastung des Gesundheitswesens.
Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat für die Phase 2, die Stabilisierungsphase, in der wir uns derzeit befinden, vier Kriterien zur Verschärfung oder Lockerung der Massnahmen festgelegt. Dazu zählt auch die 14-Tage-Inzidenz. Der Bundesrat fällt die nächsten Entscheide voraussichtlich am 11. August mit dem Übergang in die Phase 3, die Normalisierungsphase. Dann ist der Bundesrat laut dem Konzeptpapier der Meinung, dass «starke gesellschaftliche und wirtschaftliche Einschränkungen nicht mehr zu rechtfertigen sind».