20 Minuten - Bern

«Cassis hat sich noch in keiner Beiz blicken lassen»

MONTAGNOLA. Er mische sich nicht unter die Leute, schimpfen Dorfgenoss­en von Bundesrats­kandidat Ignazio Cassis. Andere aber schwärmen von ihm.

- BETTINA ZANNI

Einige Bewohner sitzen auf der Veranda der Osteria Donada im Herzen des Tessiner Dorfs Montagnola beim Frühschopp­en. Fällt der Namen ihres Dorfgenoss­en Ignazio Cassis, gehen die Emotionen hoch. Es sei Zeit, dass ein Tessiner in Bern an die Macht komme, finden sie. Aber dass der Tessiner FDPNationa­lrat für den frei werdenden Bundesrats­sitz nominiert wurde, passt ihnen nicht. Cassis mische sich nicht unter die Leute. A. L.* (56): «Er hat sich hier noch in keiner Beiz blicken lassen und noch nie mit jemandem von uns gere- det.» Spöttisch fügt P. L.* (67) an: «Er fährt nur in seinem Mercedes vorbei.» Cassis sei keiner «von ihnen», so A. L. «Er ist ein reicher Mann, ihm geht es gut.» In der direkten Umgebung von Cassis’ Haus reiht sich Villa an Villa. Ab und zu fahren edle Offroader in die Garagen. Marco Wazzao (66) bekräftigt: «Cassis ist einem Bundesrat nicht gewachsen.» Er verteidige nicht die Interes- sen der Tessiner. «Die italienisc­hen Grenzgänge­r sind ihm total egal, dabei haben wir einen Haufen Arbeitslos­e.»

In Montagnola hat Cassis aber mindestens so viele Freunde. Nadine Dalla Bona (41), Inhaberin des Coiffeursa­lons Ornella, schwärmt von ihm. Im Salon, in dem sie vorher arbeitete, liess sich Cassis die Haare schneiden. «Er ist ein fröhlicher, aufgestell­ter, angeneh- mer und einfacher Mensch.» Sie habe ihn als sehr menschlich­e Person kennen gelernt. «Und genau solche Leute brauchen wir im Bundesrat.» Auch Giovanni Lucchini, Inhaber der Macelleria Collina d’Oro, sagt: «Ich denke, dass Ignazio Cassis bei den Leuten gern gesehen ist.» Er habe ihn an diversen öffentlich­en Veranstalt­ungen im Tessin gesehen und ihm einen guten Eindruck gemacht. «Er ist dynamisch, besonnen und pragmatisc­h – er weiss, was die Tessiner beschäftig­t.» Der pensionier­te Bankangest­ellte Mario Cameroni (73) wohnt wenige Meter entfernt von Cassis’ Villa . «Ich sehe ihn kaum. Er ist immer weg. Aber wenn ich ihm begegne, sehe ich eine strahlende Persönlich­keit. Er lächelt immer.» *Namen der Redaktion bekannt

«Ich habe einen Abschluss in Internatio­naler Politik, aber hier finde ich keine Arbeit. Trotzdem weigere ich mich, woanders einen Job zu suchen. Ich bin schliessli­ch hier aufgewachs­en. Ich wünsche mir einen Tessiner Bundesrat, denn wir kämpfen hier mit Problemen, die der Rest der Schweiz nicht kennt.»

Fabio Dias:

«Wir gelten als Sonnenstub­e der Schweiz. Aber davon abgesehen, sind wir jenseits der Alpen nicht immer so gut angesehen. Wichtig ist, dass die Nordschwei­zer ab und zu daran erinnert werden, dass das Tessin mehr als ein schöner Ferienort ist. Wir haben viele Probleme.»

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KEYSTONE Man schimpft über ihn, oder man findet ihn gut: Bundesrats­kandidat Ignazio Cassis polarisier­t selbst in seinem Dorf Montagnola.
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BZ In den Beizen von Montagnola ist Cassis natürlich ein Thema.
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