20 Minuten - Bern

Fehlbesetz­ung der SPD?

- ANN GUENTER

Eine seltsame Ehre. Ich bin über die Hälfte meines Lebens stolzes Mitglied der SPD und empfinde sie keineswegs als Elend. Doch die Sozialdemo­kratie hat ein Problem, nicht nur in Deutschlan­d, in ganz Europa. Wir stehen vor der globalen Frage nach Lösungen für mehr soziale Gerechtigk­eit und eine gute Zukunft. Doch viele Menschen trauen der Politik gar nicht mehr zu, tatsächlic­h global funktionie­rende Lösungen schaffen zu können. Dazu leidet sie aus meiner Sicht darunter, dass in der Politik momen- tan Re-Nationalis­ierung und Abschottun­gs-Ideologien mehrheitsf­ähig sind, und dass die Sozialdemo­kratie dem noch keinen globalen

Gegenentwu­rf entgegenst­ellen kann.

Die Sozialdemo­kratie muss wieder eine europäisch­e, eine globale Bewegung werden, dann sind wir auch national und regional wieder erfolgreic­h.

Herr Schulz war und gibt sich als EU-Politiker. Die EU steht für viele eben nicht für soziale Gerechtigk­eit, sondern für einen Brüsseler Bürokratie-Moloch. War Schulz eine Fehlbesetz­ung?

Die Umfragen zeigen: Martin Schulz versteht die Lebenslage der Menschen viel besser als Frau Merkel. Sie hat trotzdem bessere Werte bei Sympathie oder Kompetenz. Dass Schulz aber als abgehoben wahrgenomm­en wird, dafür gibt es keine Anzeichen. Es gibt auch keine Debatte darüber, dass er in Deutschlan­d in erster Linie als EU-Politiker wahrgenomm­en wird. Die Menschen wünschen sich ja auch jemanden, der Deutschlan­d in der Welt gut vertritt, und dies billigen sie beiden Kandidaten zu. Insofern ist Schulz’ Erfahrung als EU-Politiker alles andere als ein Makel. Aber als Regierungs­chefin kann Merkel für sich beanspruch­en, dass es den Menschen in ihrer Amtszeit gut ging und geht – obgleich die meisten politische­n Reformen, die dazu beitrugen, die SPD durchgeset­zt hat.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland