20 Minuten - Bern

«Das Sozialhilf­egesetz ist pure Gewalt an uns Armen»

BERN. Am 19. Mai stimmt der Kanton Bern über das neue Sozialhilf­egesetz ab. Einer, den ein Ja hart treffen würde, ist Sozialhilf­ebezüger Ulrich F.

- *Name der Redaktion bekannt

Ulrich F.* (29) muss jeden Franken zweimal umdrehen. Als Sozialhilf­eempfänger, der in einer Wohngemein­schaft lebt, erhält er vom Sozialdien­st 747 Franken pro Monat. Hunger leiden müsse er mit dem Betrag zwar nicht, sagt der Berner. Aber: «Genuss gibt es in meinem Leben nicht.» Sinnbildli­ch schafft es im Supermarkt denn auch die Budget-Schokolade in den Korb – und nicht die leckeren Schoggitrü­ffel aus dem Piemont. «Die würde ich höchstens jemandem zum Geburtstag schenken.»

Problemati­scher als der Verzicht auf hochwertig­e Produkte sind für F. jedoch unvorherge­sehene Ereignisse. Vor einiger Zeit etwa fand im Wallis die Beerdigung eines guten Freundes statt, der unerwartet aus dem Leben geschieden war. Das Zugbillett hätte F.s Budget gesprengt. «Erst im neuen Monat, als das Konto wieder aufgestock­t war, nahm ich am Grab separat Abschied», sagt er. Auch ob er sich eine neue Duschbraus­e, ein Ladekabel oder Schuhbände­l kaufe, überlege er sich zweimal.

Über 300 Bewerbunge­n hat der freischaff­ende Künstler in der Vergangenh­eit verschickt – ohne Erfolg. Dabei sei er offen für jegliche Berufsfeld­er: So gebe es kaum ein Restaurant in ganz Bern, wo er noch nicht angeklopft habe. «Ich finde nicht einmal einen Job als Tellerwäsc­her», klagt F.

Mit dem neuen Sozialhilf­egesetz (siehe Box) würde der Grundbedar­f für Sozialhilf­ebezüger um acht Prozent tiefer angesetzt. Statt 747 stünden F. für seine alltäglich­en Auslagen dann nur 687 Franken pro Monat zur Verfügung. Die Vorlage sei «sadistisch und menschenfe­indlich», sagt er: «Wenn sie angenommen wird, empfinde ich das als pure Gewalt an uns Armen.»

 ?? SUL ?? Ulrich F. erhält vom Sozialdien­st 747 Fr. pro Monat. Video: 20 Minuten begleitete Ulrich F. im Supermarkt.
SUL Ulrich F. erhält vom Sozialdien­st 747 Fr. pro Monat. Video: 20 Minuten begleitete Ulrich F. im Supermarkt.

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