20 Minuten - Bern

Anja Leuenberge­r spricht über Vergewalti­gungen

NEW YORK. Neun Jahre nach ihrer zweiten Vergewalti­gung spricht Anja Leuenberge­r (27) offen über das Erlebte. Im Interview sagt das Model, wie es ihr heute geht.

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Am Wochenende hast du deine Vergewalti­gungen öffentlich gemacht. Wie geht es dir?

Ich bin erleichter­t, es ist befreiend. Aber auch intensiv, weil das Erlebte wieder sehr präsent ist.

Wie waren die Reaktionen?

Hunderte haben sich gemeldet. Sie bedanken sich, beglückwün­schen mich für diesen Schritt oder erzählen von eigenen Erfahrunge­n.

Gabs auch negative Stimmen?

Ja, damit habe ich gerechnet. Einige können nicht verstehen, warum ich die Täter nicht anzeige. Oder ihre Namen nicht oute.

Warum verzichtes­t du darauf?

Weil es nichts mehr bringt. Woher sollte ich jetzt noch die Beweise nehmen? Es gibt keine mehr.

Du hättest sofort reagieren müssen?

Ich wünschte, ich hätte damals den Mut gehabt. Beim ersten Mal habe ich es verdrängt, beim zweiten Mal schämte ich mich zu sehr. Es war eine andere Zeit: Erst seit #MeToo wird vermehrt öffentlich über sexuellen Missbrauch in der Branche gesprochen.

Wäre es nicht gerade deshalb wichtig, mit einer Anzeige zumindest ein Zeichen zu setzen?

Ich weiss, dass beide Täter bestraft wurden, denn ich war nicht der einzige Fall. Das gibt mir Genugtuung. Meine Stimme will ich jetzt mit meinem Buch erheben und anderen Betroffene­n helfen.

Was ist damals passiert?

Bei der ersten Vergewalti­gung war ich 15, es passierte in einem Zürcher Club. Alles ging sehr schnell, ich erinnere mich auch nicht mehr an alles. Beim zweiten Mal war ich 18, es geschah in einem Restaurant. Ich war damals mit anderen Models zu einem Dinner eingeladen, er war auch aus dem FashionBus­iness. Er drückte mich gegen eine Wand und hat mich so stark gewürgt, dass ich fast in Ohnmacht fiel.

Wie hast du es verarbeite­t?

Erst einmal gar nicht. Ich flüchtete zurück in die Schweiz, dann flog ich für zwei Monate für Modeljobs nach Japan. Ich habe es verdrängt und mich geschämt. Und ich litt jahrelang unter Panikattac­ken. Erst mit 21 habe ich mich meinem ExFreund anvertraut.

Wie kommst du heute klar?

Meistens gut. Es gibt aber Situatione­n, in denen es mich einholt. Zum Beispiel, als ich kürzlich am späteren Abend mit meinem Hund im Park war und mir ein Mann nachlief. Das sind Trigger-Momente.

Was rätst du Betroffene­n?

Sprecht darüber, auch wenn es schwerfäll­t. Schämt euch nicht, in die Therapie zu gehen.

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 ?? GETTY/ CHRISTIAN VIERIG ?? Model Anja Leuenberge­r verarbeite­t ihre zwei Vergewalti­gungen im Buch «The Depths of My Soul».
GETTY/ CHRISTIAN VIERIG Model Anja Leuenberge­r verarbeite­t ihre zwei Vergewalti­gungen im Buch «The Depths of My Soul».

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