Anja Leuenberger spricht über Vergewaltigungen
NEW YORK. Neun Jahre nach ihrer zweiten Vergewaltigung spricht Anja Leuenberger (27) offen über das Erlebte. Im Interview sagt das Model, wie es ihr heute geht.
Am Wochenende hast du deine Vergewaltigungen öffentlich gemacht. Wie geht es dir?
Ich bin erleichtert, es ist befreiend. Aber auch intensiv, weil das Erlebte wieder sehr präsent ist.
Wie waren die Reaktionen?
Hunderte haben sich gemeldet. Sie bedanken sich, beglückwünschen mich für diesen Schritt oder erzählen von eigenen Erfahrungen.
Gabs auch negative Stimmen?
Ja, damit habe ich gerechnet. Einige können nicht verstehen, warum ich die Täter nicht anzeige. Oder ihre Namen nicht oute.
Warum verzichtest du darauf?
Weil es nichts mehr bringt. Woher sollte ich jetzt noch die Beweise nehmen? Es gibt keine mehr.
Du hättest sofort reagieren müssen?
Ich wünschte, ich hätte damals den Mut gehabt. Beim ersten Mal habe ich es verdrängt, beim zweiten Mal schämte ich mich zu sehr. Es war eine andere Zeit: Erst seit #MeToo wird vermehrt öffentlich über sexuellen Missbrauch in der Branche gesprochen.
Wäre es nicht gerade deshalb wichtig, mit einer Anzeige zumindest ein Zeichen zu setzen?
Ich weiss, dass beide Täter bestraft wurden, denn ich war nicht der einzige Fall. Das gibt mir Genugtuung. Meine Stimme will ich jetzt mit meinem Buch erheben und anderen Betroffenen helfen.
Was ist damals passiert?
Bei der ersten Vergewaltigung war ich 15, es passierte in einem Zürcher Club. Alles ging sehr schnell, ich erinnere mich auch nicht mehr an alles. Beim zweiten Mal war ich 18, es geschah in einem Restaurant. Ich war damals mit anderen Models zu einem Dinner eingeladen, er war auch aus dem FashionBusiness. Er drückte mich gegen eine Wand und hat mich so stark gewürgt, dass ich fast in Ohnmacht fiel.
Wie hast du es verarbeitet?
Erst einmal gar nicht. Ich flüchtete zurück in die Schweiz, dann flog ich für zwei Monate für Modeljobs nach Japan. Ich habe es verdrängt und mich geschämt. Und ich litt jahrelang unter Panikattacken. Erst mit 21 habe ich mich meinem ExFreund anvertraut.
Wie kommst du heute klar?
Meistens gut. Es gibt aber Situationen, in denen es mich einholt. Zum Beispiel, als ich kürzlich am späteren Abend mit meinem Hund im Park war und mir ein Mann nachlief. Das sind Trigger-Momente.
Was rätst du Betroffenen?
Sprecht darüber, auch wenn es schwerfällt. Schämt euch nicht, in die Therapie zu gehen.