20 Minuten - Bern

Bettina war 16, als ihre Mutter Suizid beging

SALAVAU. Bettina (27) war 16, als ihre Mutter Suizid beging. Ihre Familie ist daran zerbrochen.

- DÉSIRÉE POMPER

Bettina steht am Murtensee und lässt eine rote Gerbera ins Wasser gleiten. Es ist der zehnte Todestag ihrer Mutter. «Hier auf dem Campingpla­tz in Salavaux VD hatten wir eine wunderschö­ne Zeit. Mami war lustig und fröhlich. Sie hat gekocht, viele Leute gingen bei uns ein und aus.» Ihre Mutter sei wie eine gute Freundin gewesen: «Sie wusste, ob ich einen Freund habe, und wie es in der Schule läuft.»

Dass es ihrem Mami nicht mehr gut ging, merkte Bettina erstmals, als sie sie nicht von einem Schullager abholte. «Es hiess, sie sei in einer Klinik.» Als sie wieder zu Hause war, wusste die Mutter manchmal nicht mehr, was sie einkaufen wollte. Sie konnte den Haushalt nicht mehr bewältigen. «Mami stand weinend vor mir. Als Kind machte mir das Angst.» Niemand habe über die Depression gesprochen.

Es passierte an einem Montagmorg­en. Am Vortag hatte die Familie noch einen Ausflug nach Luzern unternomme­n. «Mami war so unbeschwer­t. Ich war sicher: Jetzt kommt alles gut.» Bettina lag noch im Bett, als die Mutter mit dem Staubsauge­r in ihr Zimmer kam. Sie wollte ausschlafe­n und schickte sie weg. Als Bettina gegen Mittag aufstand, suchte sie ihre Mama. Keine Antwort. Sie lief in den Keller, wo die Wäsche «picobello» an der Leine hing. Dann rief sie sie an. «Es klingelte in Mamis Handtasche, die im Eingang lag. In diesem Moment war mir klar: Jetzt hat sie es getan.» Bettina versuchte die Estrichtür zu öffnen. Sie war von innen verschloss­en. Der Vater, der inzwischen nach Hause gekommen war, schickte die 16-Jährige zur Tante. Er wollte seiner Tochter den Anblick ersparen.

Besonders schwer zu ertragen sei auch heute noch die Tatsache, dass sich ihre Mutter während ihrer Anwesenhei­t getötet hat. «Meine Mutter hat sich erhängt, während ich einen Stock weiter unten geschlafen habe.» Den Schmerz etwas gemildert habe die Abschiedsn­otiz auf einem Post-it, die sie unter ihr Kopfkissen gelegt hatte. «Mama schrieb, dass sie nicht mehr könne, es ihr leidtue und sie uns liebe.»

Zeit zum Trauern hatte Bettina keine. «Ich musste meinem kleinem Bruder sagen, dass Mami tot ist. Ich habe ihre Beerdigung organisier­t, den Haushalt geführt und die Finanzen geregelt.»

Nach dem Tod ihrer Mutter war Bettinas Leben ein anderes: «Ich musste von einem Tag auf den anderen erwachsen werden. Dabei brauchte ich jemanden, der mich an der Hand nimmt und mir sagt, wohin es geht.» Keinen Job habe sie lange behalten können. Auch beim Bruder und dem Vater fand sie keinen Halt: «Der Suizid hat meine Familie auseinande­rgerissen. Heute zieht jeder sein eigenes Ding durch.» Dafür schenke ihr der Götti, der Zwillingsb­ruder ihrer Mutter, viel Kraft.

Inzwischen habe sie wieder Tritt gefasst im Leben, sagt Bettina: «Ich habe einen tollen Freund, einen Job, der mir Spass macht, und ich achte auf meine Bedürfniss­e.» Die Gesellscha­ft erwarte, dass man immer funktionie­re, arbeite und gut drauf sei. «Inzwischen aber habe ich den Mut zu sagen: Sorry, nein. Heute ist kein guter Tag.» Anderen Suizidbetr­offenen will Bettina sagen: «Gebt nicht auf, blickt nach vorn und liebt euch selber.»

Bettina teilt ihre Erfahrunge­n unter Bettysbots­chaft auf Instagram.

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DP Bettina (27) kommt am Todestag ihrer Mutter immer an den Murtensee.
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Zerbrochen­e Familie: Bettina mit ihrem Bruder und ihrer Mutter.
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