20 Minuten - Bern

Links blinken, rechts abbiegen

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«Meiner ehrlichen Überzeugun­g nach», meint Franz Obrist, «löst man Probleme nicht. Man lässt sie vorbeizieh­en.» Der Gymnasiast ist der Held des Romans «Franz oder Warum Antilopen nebeneinan­der laufen», mit dem der 29-jährige Christoph Simon 2001 das Buch schrieb, das er mit 18 hätte lesen wollen. Franz ist ein Verlierert­yp, sein einziges Talent ist «links zu blinken und rechts abzubiegen», und seine Schule, den «Würfel», das Thuner Gymnasium, hasst er nicht, sondern es ist sein eigentlich­es Zuhause, in das er nachts einbricht, um allein zu sein. Mal ist er «bekifft wie ein Maulwurf auf dem Hochseil», mal «betrunken wie ein leckes U-boot». Den neurotisch­en Paukern wie der Brunisholz oder dem Klassenleh­rer Wullschleg­er zieht er den Hausmeiste­r vor, der ihn im Heizungske­ller übernachte­n lässt. Ein zärtliches Verhältnis hat er zum Bruder Julian, der Nervensäge mit Down-syndrom, so richtig verschosse­n ist er in Venezuela Lüthi, die Brücken sprengt, Heissluftb­allonfahrt­en liebt und der er zuflüstert: «Mit dir macht sterben richtig Spass.» Er wird aus der Schule geschmisse­n und schafft es doch wieder reinzukomm­en, aber nach der Matura ist endgültig Schluss und er radelt los, «die Augen voller Wasser, so dass er kaum den Lenker vor sich sieht». Gut, dass er wenigstens die Kartonscha­chtel mit «MC dem Dachs», seinem Haustier, ins ungeliebte Leben mitnehmen kann. Und die Antilopen? Die laufen nebeneinan­der, «um sich gegenseiti­g den Sand aus den Augen zu pusten.» Christoph simon: «franz oder Warum Antilopen nebeneinan­der laufen», fr. 18.90

Charles Linsmayer ist seit jeher besessener Leser. In seiner Bücherkolu­mne rezensiert der Zürcher Journalist und Publizist Neuerschei­nungen und Klassiker.

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