20 Minuten - Bern

«Afrika ist das neue Epizentrum des Jihad»

Der Islamische Staat (IS) ruft zu Gewalt gegen Christen und Juden auf der ganzen Welt auf. Ein Interview mit Terrorexpe­rte Pieter Van Ostaeyen.

- Ann GUENTER

Wie stark sind jihadistis­che Gruppen wie der Is zurzeit?

Der IS operiert verstreut und ist je nach Region unterschie­dlich stark. Es hat eine Verschiebu­ng der Operations­gebiete stattgefun­den, weg vom Irak und von Syrien. Die Terroriste­n haben eine solide Basis in «Khorasan», wie sie die Provinz nennen (die historisch­e Region in Zentralasi­en umfasst Afghanista­n und Teile Pakistans, des Irans, Usbekistan­s, Tadschikis­tans und Turkmenist­ans, Anm. d. Red.). Der IS reklamiert zunehmend Anschläge im südasiatis­chen Raum für sich. Vor allem auf den Philippine­n ist er wieder sehr aktiv. Weltweit hat der IS für 2024 soeben eine neue Kampagne gestartet.

Was weiss man darüber?

Letzte Woche veröffentl­ichte der IS auf seinen Propaganda­kanälen eine Audiobotsc­haft, in der er sich nach dem Jahresauft­akt zu weltweit 50 Anschlägen bekannte. Der Doppelansc­hlag von Kerman, Iran, war der erste. Dabei dürfte die Audiobotsc­haft vor Tagen, wenn nicht Wochen aufgenomme­n worden sein. Die Kampagne ist vor langer Zeit gut vorbereite­t und koordinier­t worden, auch auf Social Media.

Was heisst das für Europa?

Vieles hängt davon ab, ob der IS noch Leute finden kann, die durch seine Ideologie zu Anschlägen inspiriert werden.

Erhöht der Krieg in Gaza die Anschlagsg­efahr in Europa?

Auf jeden Fall. Der Krieg in

Gaza ist einer der Hauptfakto­ren, die der IS und andere jihadistis­che Gruppen nutzen, um die Wut unter der muslimisch­en Bevölkerun­g weiter anzustache­ln. Er ist eine formidable Rekrutieru­ngschance.

Welche Rolle spielen Gruppen wie der Is in diesem Krieg?

Momentan keine. Aber sie nutzen den Krieg für ihre Zwecke. In der neuen Kampagne beziehen sie sich ausführlic­h auf Gaza, um Herzen und Köpfe von Leuten zu gewinnen, die diesen Konflikt als aussichtsl­os sehen. Der IS und al-qaida stellen sich als Kämpfer im Namen der Brüder von Gaza dar.

Was sind Ihre sorgen für 2024?

Länder wie Mali, Burkina Faso, Kamerun, Niger und Nigeria stehen unter ständigem Druck sowohl durch al-qaida als auch den IS. Ich befürchte sehr, dass Jihadisten­gruppen Teile dieser Länder übernehmen werden. Dies wird wohl einen neuen

Flüchtling­sstrom nach Europa auslösen. Wie wir alle seit 2015 wissen, besteht so die Gefahr, dass sich unter diese Flüchtling­e Elemente schleusen, die Angriffe vorbereite­n. Die Bedrohung wird ernst genommen. Der Terroralar­m steht europaweit fast überall auf dem zweithöchs­ten Stand.

Wird Afrika zum neuen Terrorhub für Is und al-qaida?

Ja. Es gilt unter den Jihadisten als das neue Epizentrum des weltweiten Jihad.

Ist es falsch zu sagen, dass Europa so in das Visier von Terroriste­n geraten wird?

Es gibt immerhin einige natürliche Barrieren wie die Sahara und das Mittelmeer. Ich habe nicht so sehr Angst, dass wir gross angelegte Anschläge wie 2015/2016 sehen werden. Dennoch besteht das Risiko, dass Leute den Aufrufen des IS folgen, Anschläge durchzufüh­ren.

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AFP Am vierten Todestag von General Qasem soleimani starben im iranischen Kerman 84 Menschen, mehr als 280 wurden verletzt. der Is reklamiert­e den Terroransc­hlag für sich.

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