«Afrika ist das neue Epizentrum des Jihad»
Der Islamische Staat (IS) ruft zu Gewalt gegen Christen und Juden auf der ganzen Welt auf. Ein Interview mit Terrorexperte Pieter Van Ostaeyen.
Wie stark sind jihadistische Gruppen wie der Is zurzeit?
Der IS operiert verstreut und ist je nach Region unterschiedlich stark. Es hat eine Verschiebung der Operationsgebiete stattgefunden, weg vom Irak und von Syrien. Die Terroristen haben eine solide Basis in «Khorasan», wie sie die Provinz nennen (die historische Region in Zentralasien umfasst Afghanistan und Teile Pakistans, des Irans, Usbekistans, Tadschikistans und Turkmenistans, Anm. d. Red.). Der IS reklamiert zunehmend Anschläge im südasiatischen Raum für sich. Vor allem auf den Philippinen ist er wieder sehr aktiv. Weltweit hat der IS für 2024 soeben eine neue Kampagne gestartet.
Was weiss man darüber?
Letzte Woche veröffentlichte der IS auf seinen Propagandakanälen eine Audiobotschaft, in der er sich nach dem Jahresauftakt zu weltweit 50 Anschlägen bekannte. Der Doppelanschlag von Kerman, Iran, war der erste. Dabei dürfte die Audiobotschaft vor Tagen, wenn nicht Wochen aufgenommen worden sein. Die Kampagne ist vor langer Zeit gut vorbereitet und koordiniert worden, auch auf Social Media.
Was heisst das für Europa?
Vieles hängt davon ab, ob der IS noch Leute finden kann, die durch seine Ideologie zu Anschlägen inspiriert werden.
Erhöht der Krieg in Gaza die Anschlagsgefahr in Europa?
Auf jeden Fall. Der Krieg in
Gaza ist einer der Hauptfaktoren, die der IS und andere jihadistische Gruppen nutzen, um die Wut unter der muslimischen Bevölkerung weiter anzustacheln. Er ist eine formidable Rekrutierungschance.
Welche Rolle spielen Gruppen wie der Is in diesem Krieg?
Momentan keine. Aber sie nutzen den Krieg für ihre Zwecke. In der neuen Kampagne beziehen sie sich ausführlich auf Gaza, um Herzen und Köpfe von Leuten zu gewinnen, die diesen Konflikt als aussichtslos sehen. Der IS und al-qaida stellen sich als Kämpfer im Namen der Brüder von Gaza dar.
Was sind Ihre sorgen für 2024?
Länder wie Mali, Burkina Faso, Kamerun, Niger und Nigeria stehen unter ständigem Druck sowohl durch al-qaida als auch den IS. Ich befürchte sehr, dass Jihadistengruppen Teile dieser Länder übernehmen werden. Dies wird wohl einen neuen
Flüchtlingsstrom nach Europa auslösen. Wie wir alle seit 2015 wissen, besteht so die Gefahr, dass sich unter diese Flüchtlinge Elemente schleusen, die Angriffe vorbereiten. Die Bedrohung wird ernst genommen. Der Terroralarm steht europaweit fast überall auf dem zweithöchsten Stand.
Wird Afrika zum neuen Terrorhub für Is und al-qaida?
Ja. Es gilt unter den Jihadisten als das neue Epizentrum des weltweiten Jihad.
Ist es falsch zu sagen, dass Europa so in das Visier von Terroristen geraten wird?
Es gibt immerhin einige natürliche Barrieren wie die Sahara und das Mittelmeer. Ich habe nicht so sehr Angst, dass wir gross angelegte Anschläge wie 2015/2016 sehen werden. Dennoch besteht das Risiko, dass Leute den Aufrufen des IS folgen, Anschläge durchzuführen.