«Zeitpunkt für 2-Staaten-lösung ist verstrichen»
Die EU und die USA drängen auf eine 2-Staaten-lösung, was Israel ablehnt. Auch Roland Popp von der Militärakademie an der ETH Zürich ist skeptisch.
Herr Popp, wieso sehen sie die 2-staaten-lösung nicht als Option für einen Frieden zwischen Israel und Palästina?
Ich denke, der Zeitpunkt, als eine 2-Staaten-lösung noch umsetzbar gewesen wäre, ist verstrichen. Allein schon aufgrund der demografischen Gegebenheiten: Als in den 90erjahren über das Oslo-abkommen verhandelt wurde, gab es 200 000 bis 300 000 Siedler in den besetzten Gebieten und Ostjerusalem. Heute sind es 700 000 Siedler. Das lässt sich kaum noch entflechten. Beide Bevölkerungsgruppen sind im alten Gebiet Palästina und Israel so miteinander verzahnt, dass ich keine mögliche Grenzziehung mehr sehe. Das war natürlich auch die Absicht der Siedlungspolitik der israelischen Regierung.
Was bleibt als Friedensszenario denn noch?
Die 1-Staat-lösung – so unvorstellbar das gegenwärtig erscheint. Dann würde der Konflikt in eine Phase übergehen, die an die letzte Phase des damaligen südafrikanischen Apartheidsystems erinnert: den Kampf um zivile Gleichberechtigung palästinensischer und israelischer Bürger in einem gemeinsamen Staat. Das erscheint mir langfristig als einzig gangbarer Weg, diesen Konflikt endlich zu beenden, unter dem letztlich die ganze Welt leidet.
Wurde die 1-staat-lösung nicht als linke Träumerei abgetan?
Sicherlich. Doch in einigen Teilen Israels – etwa in Haifa – funktioniert das Zusammenleben zwischen Israelis und Palästinensern ja. Und es gibt viele Gemeinsamkeiten, auch wenn viele Araber und Israelis das empört zurückweisen werden. Doch die Bevölkerung Israels ist im Nahen Osten angekommen.
Kühlt sich der nahe Osten ab, wenn der Gaza-krieg endet?
Das wissen wir nicht. Gegenwärtig sieht alles nach weiterer Eskalation aus. Spannend wird es, wenn die Waffen dann wirklich schweigen – dann wird sich Israel einer ernsthaften Nabelschau unterziehen müssen.
Heisst?
Die politische und militärische Führung wird für die präzedenzlose Katastrophe vom 7. Oktober zur Verantwortung gezogen werden müssen. Man darf nicht vergessen: Israelische Zivilisten waren am 7. Oktober nicht zuletzt deswegen schutzlos, weil viele der Truppen wegen der Siedlergewalt in der Westbank eingesetzt werden mussten. Das sollte in einer normal funktionierenden Gesellschaft erhebliche Konsequenzen haben. Wenn der Krieg vorbei ist, dürfte es also zu einer sehr schmerzhaften Aufarbeitung kommen. Wir werden ein anderes Israel sehen – vielleicht ein Israel, das wieder bereit ist, eine politische Lösung dieses Konflikts zu suchen, und nicht nur auf Militär und Geheimdienste setzt.