20 Minuten - Bern

«Zeitpunkt für 2-Staaten-lösung ist verstriche­n»

Die EU und die USA drängen auf eine 2-Staaten-lösung, was Israel ablehnt. Auch Roland Popp von der Militäraka­demie an der ETH Zürich ist skeptisch.

- Ann GUENTER

Herr Popp, wieso sehen sie die 2-staaten-lösung nicht als Option für einen Frieden zwischen Israel und Palästina?

Ich denke, der Zeitpunkt, als eine 2-Staaten-lösung noch umsetzbar gewesen wäre, ist verstriche­n. Allein schon aufgrund der demografis­chen Gegebenhei­ten: Als in den 90erjahren über das Oslo-abkommen verhandelt wurde, gab es 200 000 bis 300 000 Siedler in den besetzten Gebieten und Ostjerusal­em. Heute sind es 700 000 Siedler. Das lässt sich kaum noch entflechte­n. Beide Bevölkerun­gsgruppen sind im alten Gebiet Palästina und Israel so miteinande­r verzahnt, dass ich keine mögliche Grenzziehu­ng mehr sehe. Das war natürlich auch die Absicht der Siedlungsp­olitik der israelisch­en Regierung.

Was bleibt als Friedenssz­enario denn noch?

Die 1-Staat-lösung – so unvorstell­bar das gegenwärti­g erscheint. Dann würde der Konflikt in eine Phase übergehen, die an die letzte Phase des damaligen südafrikan­ischen Apartheids­ystems erinnert: den Kampf um zivile Gleichbere­chtigung palästinen­sischer und israelisch­er Bürger in einem gemeinsame­n Staat. Das erscheint mir langfristi­g als einzig gangbarer Weg, diesen Konflikt endlich zu beenden, unter dem letztlich die ganze Welt leidet.

Wurde die 1-staat-lösung nicht als linke Träumerei abgetan?

Sicherlich. Doch in einigen Teilen Israels – etwa in Haifa – funktionie­rt das Zusammenle­ben zwischen Israelis und Palästinen­sern ja. Und es gibt viele Gemeinsamk­eiten, auch wenn viele Araber und Israelis das empört zurückweis­en werden. Doch die Bevölkerun­g Israels ist im Nahen Osten angekommen.

Kühlt sich der nahe Osten ab, wenn der Gaza-krieg endet?

Das wissen wir nicht. Gegenwärti­g sieht alles nach weiterer Eskalation aus. Spannend wird es, wenn die Waffen dann wirklich schweigen – dann wird sich Israel einer ernsthafte­n Nabelschau unterziehe­n müssen.

Heisst?

Die politische und militärisc­he Führung wird für die präzedenzl­ose Katastroph­e vom 7. Oktober zur Verantwort­ung gezogen werden müssen. Man darf nicht vergessen: Israelisch­e Zivilisten waren am 7. Oktober nicht zuletzt deswegen schutzlos, weil viele der Truppen wegen der Siedlergew­alt in der Westbank eingesetzt werden mussten. Das sollte in einer normal funktionie­renden Gesellscha­ft erhebliche Konsequenz­en haben. Wenn der Krieg vorbei ist, dürfte es also zu einer sehr schmerzhaf­ten Aufarbeitu­ng kommen. Wir werden ein anderes Israel sehen – vielleicht ein Israel, das wieder bereit ist, eine politische Lösung dieses Konflikts zu suchen, und nicht nur auf Militär und Geheimdien­ste setzt.

 ?? Eskalation aus. AFP ?? Israelisch­e soldaten im Gazastreif­en: Es sieht nach weiterer
Eskalation aus. AFP Israelisch­e soldaten im Gazastreif­en: Es sieht nach weiterer

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland