20 Minuten - Bern

«Das wichtigste Learning: Man kann nicht nur glücklich sein»

ZÜRICH Die Zürcher Gesundheit­sdirektori­n Natalie Rickli spricht über die steigende Zahl Jugendlich­er mit psychische­n Problemen und gezogene Lehren.

- CLAUDIA BLUMER

Viele junge Menschen sind psychisch belastet. Haben Sie Kontakt zu solchen Jugendlich­en?

Ich hatte selber eine mittelschw­ere Depression und machte meine Erfahrunge­n vor über zehn Jahren öffentlich, um zu enttabuisi­eren. Ja, ich habe auch Kontakt zu Jungen, die Probleme haben.

Was hätten Sie damals anders machen sollen?

Viele Faktoren führten zur Depression, und sie dauerte relativ lange. Ich hatte damals keinen Zugang zur Thematik und kam lange gar nicht auf die Idee, dass ich krank sein könnte. Ich merkte einfach, dass etwas nicht stimmte. Auch mein Umfeld merkte es mir nicht an. Irgendwann suchte ich Hilfe, relativ spät.

Wie hat sich Ihr Leben seither verändert?

Bewegung und soziale Kontakte sind sehr wichtig, das beherzige ich heute besser. Auch die Natur tut mir gut. Ich bin sensibilis­ierter und spreche jemanden darauf an, wenn ich sehe, dass es ihm nicht gut geht. Was ist Ihr Learning Nummer 1?

Sich mit positiven Dingen beschäftig­en. Etwas zusammen machen, schöne Dinge erleben. Wir leben in einem so schönen, sicheren Land und haben zahlreiche Möglichkei­ten. Sich freuen an dem, was gut läuft, was uns guttut. Und vielleicht das wichtigste Learning: Man kann nicht nur glücklich sein, das Streben nach Glück und Perfektion ist der psychische­n Gesundheit nicht förderlich.

Aber Jugendlich­e warten Monate auf einen Therapiepl­atz.

Ja, im ambulanten Bereich haben wir einen Mangel, weil viele Psychologe­n und Psychiater in Pension gehen und zu wenig nachrücken. Aber auch wegen des Bevölkerun­gswachstum­s: Der Kanton Zürich ist in den letzten zehn Jahren um 170 000 Personen gewachsen. Wir können nicht einfach Hunderte Psychologe­n und Psychiater aus dem Hut zaubern. Doch wir sind aktiv: Der Kanton hat die Unterstütz­ung an Spitäler für ärztliche Weiterbild­ung erhöht. Zudem: In Notfällen bekommt man noch am selben Tag Hilfe.

Eine Initiative der Jungen Mitte fordert, dass der Kanton sich stärker engagiert.

Vieles davon ist bereits aufgegleis­t. Wichtig ist: Viele Beratungsa­ngebote müssen wir bekannter machen. Es gibt 14 Kinder- und Jugendhilf­ezentren im Kanton, an die sich Jugendlich­e und ihre Familien wenden können. Nicht in jedem Fall braucht es gleich einen Psychologe­n oder Psychiater. Umgekehrt gibt es Fälle, in denen eine Psychother­apie dringend nötig ist, was aber nicht erkannt wird.

Suchen Jugendlich­e zu früh einen Psychologe­n auf ?

Man kann das so generell nicht sagen. Die steigende Nachfrage ist auch eine Folge davon, dass heute offener über das Thema gesprochen wird. Das ist positiv. Auch ich war einmal in der Pubertät, habe rebelliert und meine Grenzen ausgelotet, meine Eltern hatten nicht immer Freude an mir. Die Entwicklun­gsschwieri­gkeiten sind dieselben, das Umfeld hat sich verändert.

Was können Eltern tun?

Seien wir ehrlich: Wir Erwachsene­n sind nicht immer die besten Vorbilder. Da zähle ich mich selber dazu. Nehmen wir nur das Handy. Es ist sehr präsent in unserem Leben und wir sollten uns bewusst sein, dass Jugendlich­e von unserem Verhalten beeinfluss­t werden.

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20min/marco Zangger Natalie Rickli, Zürcher Gesundheit­sdirektori­n.

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