20 Minuten - Bern

«Auch 500 000 neue Soldaten reichen nicht»

- GUX

Was hat es mit den erzwungene­n Rekrutieru­ngen auf sich? Verhält sich die Ukraine am Ende nicht besser als Russland? «In der Ukraine passieren unter Zwang und unter Druck auch Dinge, die das Bild einer demokratis­chen und transparen­ten Ukraine einfärben, die auf dem Weg der Verwestlic­hung und Europäisie­rung ist», sagt André Härtel, Ukraineund Sicherheit­sexperte. «Wenn man sich aber in einem existenzie­llen Kampf befindet, werden viele Standards aus Friedensze­iten schnell nicht mehr eingehalte­n.»

Es sei zwar wahrschein­lich, dass es neben der Korruption in der ukrainisch­en Einberufun­gsbehörde immer wieder Massnahmen der Zwangsrekr­utierung gegeben habe und gebe – «doch wir wissen nicht, wie systematis­ch diese sind». Es gebe jedenfalls keine Anhaltspun­kte dafür, dass die Mobilisier­ung in der Ukraine Formen annehme, wie sie in Russland zu beobachten seien: «Dort werden in einer Schattenmo­bilisierun­g täglich mehrere Hundert Mann ausgehoben.» Nach Angaben von Präsident Wladimir Putin liegt die Gesamtzahl der russischen Soldaten im Kriegsgebi­et bei 617 000. Experten halten das für zu hoch gegriffen.

Dem stehen in der Ukraine die Diskussion­en um eine Einberufun­g von bis zu 500000 Mann gegenüber. «Doch auch das wird angesichts der russischen Mobilisier­ungsmöglic­hkeiten den Kriegsverl­auf nicht herumreiss­en. Denn trotz westlicher Waffenlief­erung ist es immer noch ein stark asymmetris­cher Krieg», sagt Härtel.

Ginge es allein um Manpower und die militärisc­hen Kapazitäte­n

beider Staaten, würde sich Russland auf Dauer immer durchsetze­n. Der Ukraine bleibe aber nichts anderes übrig, als sich diesem ungleichen Kampf zu stellen.

Dabei müsse Kiew versuchen, Zeit zu gewinnen – und auf Faktoren hoffen, auf die man wenig Einfluss habe: die westlichen Waffenlief­erungen, die weltweite Diplomatie für einen Friedenspl­an und die langfristi­ge Wirkung der Sanktionen gegen Russland.

«Das Ziel ist, dass man das Kosten-nutzen-kalkül Putins mit der Zeit so verändern kann, dass er sich doch auf Verhandlun­gen einlässt und von seinen Maximalfor­derungen abkommt», sagt Härtel.

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Friedrich-schiller-universitä­t Jena sicherheit­sexperte André Härtel.

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