20 Minuten - Bern

Zwangsmobi­lisierung in der Ukraine?

Die ukrainisch­e Armee hat ein Personalpr­oblem. Junge Männer fürchten sich, auf der Strasse zur Registrier­ung abgefangen zu werden.

- Ann GUENTER

Russland drückt an der 1500 Kilometer langen Frontlinie und die Ukraine benötigt dringend mehr westliche Militärhil­fen. Es ist eine düstere Lage für Kiew, weiter belastet vom Zwist zwischen Präsident Wolodimir Selenski und Armeechef Waleri Saluschni. Die angeblich unmittelba­r bevorstehe­nde Entlassung des Oberbefehl­shabers ist im Land derzeit das Thema Nummer eins.

Das einstige Erfolgsduo streitet um die weitere Strategie im Abwehrkamp­f gegen Russland.

Ein grosser Punkt ist dabei die Rekrutieru­ng von Soldaten. Doch eine Lösung des drängenden Personalpr­oblems der Armee ist nicht in Sicht. Während Militär und Politik in Kiew zanken, schaffen die Rekrutieru­ngsbüros unter dem geltenden Kriegsrech­t im Osten und Süden des Landes Fakten. Junge Männer werden schon seit Monaten auf offener Strasse abgefangen und zur Registrier­ung in die Armee mitgenomme­n. In Städten wie Dnipro verlassen junge Männer die

Wohnung tagsüber nicht mehr aus Angst, in eine Kontrolle zu geraten und vom Fleck weg ins Training geschickt zu werden.

Vor einigen Tagen sorgte das Video eines Kommandant­en der 118. Brigade der territoria­len Verteidigu­ngskräfte für Wut und Entsetzen. Mit Blick auf die fehlenden neuen Kräfte meinte er: Ukrainern, die sich weigern, auf Aufforderu­ng von Militärkom­missaren aus dem Auto auszusteig­en, solle ins Knie geschossen werden. Kein Wunder, haben sich im Internet mittlerwei­le Zehntausen­de zu Chatgruppe­n zusammenge­tan, in denen vor Orten mit Einberufun­gsteams gewarnt wird. Andere setzen auf Geld. «Ich fahre

Taxi, damit ich ein gefälschte­s Gesundheit­sattest kaufen kann», so ein 28-Jähriger aus Kiew zu 20 Minuten. «Das kostet zwischen 4000 und 5000 Dollar.» Näher ins Detail wollte er nicht gehen, sagte aber: «Ich will nicht ins Ausland fliehen, aber auch nicht an der Front sterben.» Möglich, dass der junge Mann sich das zu einfach vorstellt. Wegen der grassieren­den Korruption hat Präsident Selenski letztes Jahr die Leiter aller 24 Wehrämter auf einen Schlag entlassen. Dadurch ist die Mobilisier­ung zusätzlich ins Stocken geraten – und der Preis für gefälschte Untauglich­keitsattes­te hat sich deshalb vervielfac­ht.

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AFP Ein ukrainisch­er soldat ist mit einer Panzerabwe­hrlenkwaff­e unterwegs.

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