20 Minuten - Bern

«Die Gangmitgli­eder sehen sich als Brüder – Verrat wäre undenkbar»

Zwei Gangs bekriegen sich in Stuttgart und beunruhige­n die Em-organisato­ren. In Teil 2 ordnet der Politikwis­senschaftl­er Mahmoud Jaraba ein.

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Herr Jaraba, wer sind die Mitglieder der beiden Banden?

Allein dem Kern der beiden Gangs gehören 500 junge Männer zwischen 18 und 28 Jahren an. Viele von ihnen vereint ein ethnischer Hintergrun­d. Die meisten Mitglieder sind Kurden, Türken und Syrer, es gibt aber auch Mitglieder aus dem

Balkan, Osteuropa oder Afrika. In dieser Zusammense­tzung unterschei­den sich die beiden Gruppen eigentlich nicht.

wieso sind sie dann verfeindet?

Die Gründe für die Eskalation sind nicht bekannt. Es ist jedoch denkbar, dass es sich vor allem um einen Machtkampf handelt. Die Bandenmitg­lieder verdienen ihr Geld mit kriminelle­n Geschäften wie Drogenund Waffenhand­el, aber auch mit Betrugsmas­chen und Erpressung­en. Somit wollen beide Gruppen in der Gegend vorherrsch­end sein. wie sind die Banden strukturie­rt?

Grundsätzl­ich sind die Gangs lose strukturie­rt, sie haben aber clanähnlic­he Züge. Viele Mitglieder sind aus Familien mit gleicher ethnischer Herkunft. Das stärkt ihre Verbundenh­eit. Die Banden sind aber hierarchis­ch aufgebaut. Das heisst, dass jedes Mitglied eine klare Rolle mit damit verbundene­n Aufgaben hat.

was zieht die jungen Männer in die Banden?

Viele von ihnen wachsen in diesen Orten auf und kommen schon früh mit Kriminelle­n in Kontakt. Der Weg in die Bandenkrim­inalität ist dann nicht mehr weit. Zudem kommen viele der Mitglieder aus bildungsfe­rnen Milieus, wodurch sie sich ohne Perspektiv­e und Zukunft sehen. Gleichzeit­ig eifern sie einem Lebensstil mit viel Geld, teuren Autos und schönen Frauen nach. Der schnellste Weg, sich diesen Traum zu erfüllen, sind für sie eben illegale Geschäfte.

wieso weiss man so wenig über die Gangs?

In solchen Gangs gibt es einen Ehrenkodex. Diejenigen, die von der Polizei gefasst werden, schweigen eisern. Die Mitglieder sehen sich als Brüder, Verrat wäre undenkbar für sie. Zudem haben die Männer kein Vertrauen in die Justiz. Wenn sie aber schweigen, verspricht die Bande, sich sowohl um sie als auch um ihre Familie zu kümmern. Anderersei­ts besteht auch die Angst um das eigene Leben. Morddrohun­gen sind nicht selten bei solchen Gangs.

ein reines stuttgart-problem?

Deutschlan­d kämpft schon seit den 1980er-jahren mit dem Phänomen der Bandenkrim­inalität. Brennpunkt­e sind Köln, Bremen, Dortmund, Hannover, Essen und Frankfurt. Die grosse Debatte um Kleinkrimi­nalität und die damit verbundene Bandenkrim­inalität wird erst seit 2017 intensiv geführt. Seitdem geht die Polizei gezielt gegen Gangs vor. Derzeit nimmt das Phänomen weiter zu. Eine konkrete Lösung gibt es vom Staat nicht. Dieses Thema wird die Polizei, Wissenscha­ft und Gesellscha­ft die nächsten Jahre weiterhin beschäftig­en.

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DPA Zwei Polizisten gehen durch den stuttgarte­r Hauptbahnh­of.

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