«Die Gangmitglieder sehen sich als Brüder – Verrat wäre undenkbar»
Zwei Gangs bekriegen sich in Stuttgart und beunruhigen die Em-organisatoren. In Teil 2 ordnet der Politikwissenschaftler Mahmoud Jaraba ein.
Herr Jaraba, wer sind die Mitglieder der beiden Banden?
Allein dem Kern der beiden Gangs gehören 500 junge Männer zwischen 18 und 28 Jahren an. Viele von ihnen vereint ein ethnischer Hintergrund. Die meisten Mitglieder sind Kurden, Türken und Syrer, es gibt aber auch Mitglieder aus dem
Balkan, Osteuropa oder Afrika. In dieser Zusammensetzung unterscheiden sich die beiden Gruppen eigentlich nicht.
wieso sind sie dann verfeindet?
Die Gründe für die Eskalation sind nicht bekannt. Es ist jedoch denkbar, dass es sich vor allem um einen Machtkampf handelt. Die Bandenmitglieder verdienen ihr Geld mit kriminellen Geschäften wie Drogenund Waffenhandel, aber auch mit Betrugsmaschen und Erpressungen. Somit wollen beide Gruppen in der Gegend vorherrschend sein. wie sind die Banden strukturiert?
Grundsätzlich sind die Gangs lose strukturiert, sie haben aber clanähnliche Züge. Viele Mitglieder sind aus Familien mit gleicher ethnischer Herkunft. Das stärkt ihre Verbundenheit. Die Banden sind aber hierarchisch aufgebaut. Das heisst, dass jedes Mitglied eine klare Rolle mit damit verbundenen Aufgaben hat.
was zieht die jungen Männer in die Banden?
Viele von ihnen wachsen in diesen Orten auf und kommen schon früh mit Kriminellen in Kontakt. Der Weg in die Bandenkriminalität ist dann nicht mehr weit. Zudem kommen viele der Mitglieder aus bildungsfernen Milieus, wodurch sie sich ohne Perspektive und Zukunft sehen. Gleichzeitig eifern sie einem Lebensstil mit viel Geld, teuren Autos und schönen Frauen nach. Der schnellste Weg, sich diesen Traum zu erfüllen, sind für sie eben illegale Geschäfte.
wieso weiss man so wenig über die Gangs?
In solchen Gangs gibt es einen Ehrenkodex. Diejenigen, die von der Polizei gefasst werden, schweigen eisern. Die Mitglieder sehen sich als Brüder, Verrat wäre undenkbar für sie. Zudem haben die Männer kein Vertrauen in die Justiz. Wenn sie aber schweigen, verspricht die Bande, sich sowohl um sie als auch um ihre Familie zu kümmern. Andererseits besteht auch die Angst um das eigene Leben. Morddrohungen sind nicht selten bei solchen Gangs.
ein reines stuttgart-problem?
Deutschland kämpft schon seit den 1980er-jahren mit dem Phänomen der Bandenkriminalität. Brennpunkte sind Köln, Bremen, Dortmund, Hannover, Essen und Frankfurt. Die grosse Debatte um Kleinkriminalität und die damit verbundene Bandenkriminalität wird erst seit 2017 intensiv geführt. Seitdem geht die Polizei gezielt gegen Gangs vor. Derzeit nimmt das Phänomen weiter zu. Eine konkrete Lösung gibt es vom Staat nicht. Dieses Thema wird die Polizei, Wissenschaft und Gesellschaft die nächsten Jahre weiterhin beschäftigen.