«Grossmächte wollen mehr Einfluss, was Kriege provoziert»
In über 80 Ländern der Welt finden 2024 bedeutende Wahlen statt. Remo Reginold, Experte für Geopolitik, erklärt, wohin die Welt steuert.
Herr Reginold, ist das Megawahljahr ein siegeszug für die demokratie?
Viele Länder sind weit weg von dem, was wir unter einer Demokratie verstehen.
Zum Beispiel?
In Indien können sehr viele nicht lesen. Sie wählen dann ein Symbol wie einen Kreis oder einen Fisch, was für eine Partei steht. Dadurch ist eine Meinungsbildung nicht vergleichbar mit dem, was wir erwarten würden. Dazu kommen Staaten wie Russland, wo keine Meinungsoder Pressefreiheit herrscht und die Opposition verfolgt wird.
Welche sind die wegweisendsten Wahlen 2024 für die Welt?
Südafrika dürfte instabiler werden, weil die grösste Partei ANC Federn lassen wird. Indien wird spannend, weil Modi – er träumt von einem Grossreich Indien – zulegen und damit stärker aussenpolitisch auftreten dürfte. Die Us-wahlen werden interessant. Aber ehrlich: Entscheidende politische Richtungswechsel sind nirgends zu erwarten, zumindest nicht, was die grossen aussen- und geopolitischen Verschiebungen angeht.
Es spielt also gar keine Rolle, ob die Amerikaner Trump oder Biden wählen?
Kurzfristig hat das sicher Auswirkungen. Langfristig kämpfen die USA darum, eine Weltmacht zu bleiben, und das gilt für Biden ebenso wie für Trump. Wird Trump gewählt, bleiben die USA unberechenbarer. Beispiel Ukraine-krieg: Bei Trump weiss niemand, wo die roten Linien sind.
Und gewinnt Biden, bleiben die USA, wie sie sind: mit sich selbst beschäftigt.
sie haben geopolitische Verschiebungen angesprochen. Wohin bewegt sich die Welt?
Ein grosser Trend ist in vielen Ländern das Streben nach zivilisatorischer Einheit: Putin träumt vom grossrussischen Reich. Modi von Grossindien. China will Taiwan wieder dem Greater China einverleiben.
Birgt das die Gefahr neuer Kriege und Konflikte?
Das ist zu befürchten. Was heisst das für Europa?
Es lassen sich in diesen unsicheren Zeiten zwei Trends feststellen: einerseits die Abkehr vom Establishment, etwa das Nationalistische: Man denkt wieder in kleineren Dimensionen und jeder schaut für sich. Und zweitens die Suche nach Stabilität, Bekanntes und Bisheriges wird gewählt.
Welche Wahl wird für die schweiz bedeutend?
Kurzfristig am ehesten die Europawahlen, weil europäische Länder die grössten Handelspartner sind. Langfristig wird sich die Schweiz überlegen müssen, wo sie dazugehören, welche Interessen sie auf der Welt verfolgen will und wie sie mit den aussenpolitischen Unsicherheiten und Uneindeutigkeiten umgeht.