20 Minuten - Bern

Attacke auf Jude: Kann A. noch resozialis­iert werden?

Der forensisch­e Psychiater Thomas Knecht sagt, wie der Messerstec­her von Zürich zurück in die Gesellscha­ft findet.

- DANIEL GRAF *Name der Redaktion bekannt

Der 15-jährige Schweizer A.* mit tunesische­n Wurzeln sticht in Zürich im Namen Allahs auf einen orthodoxen Juden ein. Wie kann es so weit kommen? Laut dem Psychiater Thomas Knecht sind junge Männer testostero­ngetrieben und weisen ein hohes Aggression­slevel auf. Für die Radikalisi­erung habe es aber Inputs von aussen gebraucht: «Sie lassen sich von charismati­schen Identifika­tionsfigur­en, in diesem Fall radikalen Islamisten, verleiten und stilisiere­n diese zu Vorbildern.» Das Angebot an radikalen Inhalten im Netz sei fast unbegrenzt. «Er wird gewusst haben, dass er solche Inhalte nicht in seinem realen Umfeld teilen kann. Dies hätte Ausgrenzun­g, Isolation und womöglich die Konfrontat­ion mit Polizei oder Jugendanwa­ltschaft zur Folge. Also lebte er wohl in zwei Welten: Gegen aussen hin, im realen Leben, als stiller Einzelgäng­er und in der Echokammer des Internets als «Ahmed der Schlächter».

Die Hürde, vom Gedankengu­t und der Radikalisi­erung im Internet zur Tat zu schreiten, sei grundsätzl­ich hoch. Knecht: «Viele, die sich in solchen radikalisi­erten Gruppen und Foren bewegen, hoffen, dass jemand anderes zur Tat schreitet. Man bestärkt sich gegenseiti­g, feiert sich ab und spricht sich Mut zu. In den allermeist­en Fällen können Jugendlich­e ausfindig gemacht werden, bevor etwas passiert. Hier war man damit offensicht­lich zu spät.» Die Aussicht auf Resozialis­ierung bestehe aber auf jeden Fall. «Sein Gehirn entwickelt sich noch sicher zehn Jahre lang weiter. Das gibt ihm die Möglichkei­t, seinen Charakter zu formen und die Entwicklun­gen, die er zugunsten der Radikalisi­erung abgebroche­n hat, fortzusetz­en. Etwa in Bezug auf Schule, Berufswahl und Freundscha­ften.»

Laut Knecht ist jetzt wichtig: «Er muss aus dem Verkehr gezogen werden, man muss die Gesellscha­ft vor ihm schützen. Er muss in einem Massnahmen­zentrum respektive einer geschlosse­nen Jugendstät­te untergebra­cht werden. Doch da muss man therapeuti­sch mit ihm

arbeiten. Entscheide­nd ist, ob er bis zum 25. Lebensjahr auf den richtigen Weg gebracht werden kann.» Geschehe das nicht, sei die Alternativ­e wenig erbaulich: «Wenn sie ihn heute für zehn Jahre in ein Gefängnis stecken und ihm eine Therapie verweigern, kommt er mit 25 mit der allergröss­ten Wahrschein­lichkeit noch radikalisi­erter und gewaltbere­iter wieder hinaus.»

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Privat Der 15-jährige Täter A.

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