«Nachrichtendienst hat Angriff auf Jude in Zürich verschlafen»
Der Täter des Messerangriffs in Zürich teilte online islamistisches Gedankengut und äussert sich auch selbst islamistisch. Das sagt Radikalisierungsexperte Johannes Saal dazu.
Der 15-jähriger Schweizer mit tunesischen Wurzeln, der in Zürich einen orthodoxen Juden attackiert und verletzt hatte, war schon länger online aktiv und teilte dort nicht nur islamistisches Gedankengut, sondern kreierte dieses auch selbst. So hat sich der Täter laut dem «Tages-anzeiger» mehr oder weniger ab dem Zeitpunkt des Massakers der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 auf X (vormals Twitter) als Is-sympathisant zu erkennen gegeben. Laut dem Religionssoziologen Johannes Saal, der vor allem zum Thema Radikalisierung von
Jihadisten forscht, ist dies kein Zufall. «Der Gaza-krieg verstärkt das Bedrohungsszenario innerhalb des extremistischen Milieus und mobilisiert Menschen im Sinne des Antisemitismus.»
Überrascht ist Saal hingegen davon, dass der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) den Täter offenbar nicht auf dem Schirm hatte. «Acht Stunden vor dem Angriff hat der 15-Jährige sogar ein Video hochgeladen, in dem er seine Tat ankündigt. Er verschleiert das Ganze zwar ein wenig, für Experten dürfte die Absicht aber klar gewesen sein.»
2019 bewilligte der Bundesrat 100 neue Stellen für den NDB und erhöhte das Budget der kantonalen Nachrichtendienste um drei Millionen Franken. Damit sollten Lücken auf operationeller Ebene geschlossen werden, die der damalige Ndb-direktor Jean-philippe Gaudin in einem Interview mit der NZZ anprangerte.
Diese Lücken scheint es aber noch immer zu geben. Mit Amtsantritt vor zwei Jahren leitete Gaudins Nachfolger Christian Dussey auf Antrag von Verteidigungsministerin Viola Amherd eine Totalsanierung ein. Wie die «NZZ am Sonntag» Ende Februar berichtete, sind durch die Reform langjährige Mitarbeitende gegangen, neue müssten erst eingearbeitet werden, Ansprechpersonen fehlten. Darunter leide das Tagesgeschäft. Der NDB wehrte sich gegen diese Vorwürfe und sagte in einer Stellungnahme, dass seine präventiven Leistungen jederzeit sichergestellt waren.
«Vielleicht hat der NDB den Täter tatsächlich beobachtet, dann wäre ich noch verwundeter, dass nichts passiert ist», sagt Saal. «Vor allem in Anbetracht dessen, dass das Stimmvolk im Sommer 2021 das ‹Anti-terror-gesetz› angenommen hat.» Das Gesetz erlaubt es der Polizei, vorsorglich einzuschreiten, wenn von jemandem eine terroristische Gefahr ausgeht. Saal: «Für mich hat der Nachrichtendienst diese Tat verschlafen.»