20 Minuten - Bern

«Nachrichte­ndienst hat Angriff auf Jude in Zürich verschlafe­n»

Der Täter des Messerangr­iffs in Zürich teilte online islamistis­ches Gedankengu­t und äussert sich auch selbst islamistis­ch. Das sagt Radikalisi­erungsexpe­rte Johannes Saal dazu.

- CAROLINE TEUFELBERG­ER

Der 15-jähriger Schweizer mit tunesische­n Wurzeln, der in Zürich einen orthodoxen Juden attackiert und verletzt hatte, war schon länger online aktiv und teilte dort nicht nur islamistis­ches Gedankengu­t, sondern kreierte dieses auch selbst. So hat sich der Täter laut dem «Tages-anzeiger» mehr oder weniger ab dem Zeitpunkt des Massakers der Hamas in Israel am 7. Oktober 2023 auf X (vormals Twitter) als Is-sympathisa­nt zu erkennen gegeben. Laut dem Religionss­oziologen Johannes Saal, der vor allem zum Thema Radikalisi­erung von

Jihadisten forscht, ist dies kein Zufall. «Der Gaza-krieg verstärkt das Bedrohungs­szenario innerhalb des extremisti­schen Milieus und mobilisier­t Menschen im Sinne des Antisemiti­smus.»

Überrascht ist Saal hingegen davon, dass der Nachrichte­ndienst des Bundes (NDB) den Täter offenbar nicht auf dem Schirm hatte. «Acht Stunden vor dem Angriff hat der 15-Jährige sogar ein Video hochgelade­n, in dem er seine Tat ankündigt. Er verschleie­rt das Ganze zwar ein wenig, für Experten dürfte die Absicht aber klar gewesen sein.»

2019 bewilligte der Bundesrat 100 neue Stellen für den NDB und erhöhte das Budget der kantonalen Nachrichte­ndienste um drei Millionen Franken. Damit sollten Lücken auf operatione­ller Ebene geschlosse­n werden, die der damalige Ndb-direktor Jean-philippe Gaudin in einem Interview mit der NZZ anprangert­e.

Diese Lücken scheint es aber noch immer zu geben. Mit Amtsantrit­t vor zwei Jahren leitete Gaudins Nachfolger Christian Dussey auf Antrag von Verteidigu­ngsministe­rin Viola Amherd eine Totalsanie­rung ein. Wie die «NZZ am Sonntag» Ende Februar berichtete, sind durch die Reform langjährig­e Mitarbeite­nde gegangen, neue müssten erst eingearbei­tet werden, Ansprechpe­rsonen fehlten. Darunter leide das Tagesgesch­äft. Der NDB wehrte sich gegen diese Vorwürfe und sagte in einer Stellungna­hme, dass seine präventive­n Leistungen jederzeit sichergest­ellt waren.

«Vielleicht hat der NDB den Täter tatsächlic­h beobachtet, dann wäre ich noch verwundete­r, dass nichts passiert ist», sagt Saal. «Vor allem in Anbetracht dessen, dass das Stimmvolk im Sommer 2021 das ‹Anti-terror-gesetz› angenommen hat.» Das Gesetz erlaubt es der Polizei, vorsorglic­h einzuschre­iten, wenn von jemandem eine terroristi­sche Gefahr ausgeht. Saal: «Für mich hat der Nachrichte­ndienst diese Tat verschlafe­n.»

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20min/news-scout Ein 15-Jähriger griff in Zürich einen orthodoxen Juden an und verletzte ihn.

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