«Eines Tages wird das Regime fallen»
Die deutsch-iranische Aktivistin Mariam Claren spricht mit 20 Minuten über die Situation im Iran und ihre Mutter, eine politische Gefangene.
Frau Claren, wieso haben nur 41 Prozent der Menschen im Iran am 1. März gewählt?
Die Menschen im Iran sind desillusioniert und haben kein Vertrauen mehr in ihre Regierung. Sie sehen keinen Grund zum Wählen, denn das System der Unterdrückung ändert sich nicht. Es ist die einzige straflose Protestform, die den Menschen noch bleibt.
wie ist die stimmung im Land?
Die Massendemonstrationen haben nachgelassen, aber die Proteststimmung ist noch stark spürbar. Auf den Strassen sieht man viele Frauen ohne Kopftuch,
die Kultur hat sich verändert und es gibt ständig Streiks. Die nächste grosse Protestwelle wird kommen und das Regime eines Tages fallen.
wie ist die situation für politische Oppositionelle?
Vor den Wahlen beobachteten wir mehr Festnahmen. Betroffen waren diejenigen, von denen die Regierung einen Aufstand befürchtete. Zudem gab es allein im Januar 74 Hinrichtungen. Damit sollten Unruhestifter und Protestgänger abgeschreckt werden.
was droht den Gefangenen?
Im Iran sind politische Gefangene
körperlicher und psychischer Folter ausgesetzt. Die meisten verschwinden einfach nach der Festnahme. Ihre Familien wissen nicht, wo sie sind oder ob sie überhaupt noch leben.
Ihre Mutter, Nahid Taghavi, ist auch eine Gefangene.
Ja, sie ist seit über zwei Jahren im Gefängnis, weil sie laut dem Regime Teil einer illegalen Gruppierung war. Effektiv hat sie sich jahrelang für Menschenund besonders Frauenrechte eingesetzt. Ihr geht es gesundheitlich nicht gut. Deshalb durfte sie kürzlich vorübergehend in den Hausarrest und medizinische Hilfe beantragen.
Konnten sie sie besuchen?
Nein, wäre ich nach Teheran
gereist, wäre ich verhaftet worden. Es war dennoch schön, sie für diese kurze Zeit in Sicherheit zu wissen. Ich weiss, dass sie stark ist, dennoch mache ich mir grosse Sorgen um sie. Der Gedanke, dass sie für eine bessere Zukunft für die Menschen im Iran kämpft, ist das Einzige, was mich tröstet.
Hat sie sie dazu inspiriert, Aktivistin zu werden?
Ja, absolut. Meine Mutter ist mein grösstes Vorbild. Der Tag,
an dem sie verhaftet wurde, war ein Wendepunkt in meinem Leben. Erst da habe ich das Ausmass des Leidens der Menschen im Iran erkannt.
was wünschen sie sich von Ländern wie der schweiz?
Der internationale Aufschrei fehlt. Die Regierungen unternehmen nur symbolische Gesten, in ihrer Iran-politik ändert sich nichts. Handel und Wirtschaft werden leider vor die Menschenrechte gestellt.