Retterin der bambini emigrati
«Ich hätte dich gern Deinem Papa vorgestellt, aber er ist nicht hier. Wir werden allein sein, zwei Frauen in dieser verrückten Welt!» – Januar 1918 in einer Zürcher Arztpraxis. Lilly Volkart, 21, spricht zu ihrem neugeborenen Töchterchen. Umberto, der Papa, ist vor Wochen als Soldat am Isonzo gefallen und ein paar Minuten später wird auch sein Kind tot in den Armen der jungen Mutter liegen. Kinderärztin hätte sie werden wollen, aber das Unglück macht sie krank und vereitelt ihre Pläne. Nur etwas verspricht sie dem toten Mädchen: «Ich werde dafür sorgen, dass so etwas nie wieder passiert.» Mit der «verrückten Welt» aber hat sie recht, folgt auf den Ersten doch der noch schrecklichere Zweite Weltkrieg, ausgelöst von einem verbrecherischen Regime. Und doch kann genau da Lilly Volkart ihr Versprechen in die Tat umsetzen. In Ascona, als Leiterin eines Kinderheims, in das sie von 1939 bis 1945 Hunderte meist jüdische Kinder aufnimmt, die von den Nazis verfolgt wurden oder die Eltern verloren haben und für die sie in liebevoller Hingabe wie eine Mutter sorgt. Im bewegenden Buch «Lillys Courage», das Ulrike Schimming ins Deutsche übersetzt hat, erzählt der Tessiner Mattia Bertoldi Lilly Volkarts Geschichte und jene der von ihr geretteten Kinder. «Bambini emigrati» wie der kleine Ranieri, der sich, obwohl er selbst ein schweres Schicksal hat, schützend vor die traumatisierte Dora stellt, die lange nicht darüber hinwegkommt, dass ihr Vater vor ihren Augen erschossen worden ist.
«Lillys Courage», Mattia Bertoldi, edition bücherlese, fr. 33.90
Charles Linsmayer ist seit jeher besessener Leser. In seiner Bücherkolumne rezensiert der Zürcher Journalist und Publizist Neuerscheinungen und Klassiker.