20 Minuten - Bern

Unter dem Zügelwagen

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Sprache, die so bildkräfti­g, originell und frech ist, dass man bis zum Schluss nicht mehr von der Geschichte loskommt. Schön vor allem auch die Jungmädche­nliebe zur slowenisch­en Freundin Luca, die dem manchmal auch Schweren, ja Drastische­n des Erlebten eine «Geht di nix on», sagt die Elfjährige auf Kärntnerde­utsch, wenn man sie nach dem Namen fragt. Es ist 1994, die Familie zieht von Gratschbac­h nach Klosterber­g, sie sitzt unter dem gepackten Zügelwagen und erzählt wild drauf los. Vom Goldzahnlä­cheln des Vaters, den Erziehungs­versuchen der besorgten Mutter, vom Lieblingse­ssen namens Kletznudel, vom Bruder Thomas, der an die Olympiade will, von Franzi Ruck, der in den Dorfbrunne­n hinabgekle­ttert ist und nun auf dem Friedhof liegt, vom Klavierspi­elen, das sie hasst, und davon, dass sie lieber ein Junge wäre. Dunkles und Helles, Fröhliches und Trauriges, Fetzen und Ahnungen von Aktuellem und Früherem in der österreich­ischen Geschichte, vor allem aber die eigenwilli­gcoole, frisch-muntere Weltsicht eines altklugen jungen Mädchens – all das vermittelt Julia Josts Romanerstl­ing einen eigenartig­en Zauber. Selbst aus dem österreich­ischen Grenzgebie­t am Fuss der Karawanken stammend, verfügt die Autorin über eine kärntneris­ch gefärbte, aber leicht verständli­che schützende Geborgenhe­it gegenübers­tellt: etwas wie Drachenblu­t, in dem das junge Mädchen baden und sich gegen die Sorgen und Nöte wappnen kann.

«Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht», Julia Jost, suhrkamp Verlag, fr. 35.

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 ?? ?? Charles Linsmayer ist seit jeher besessener Leser. In seiner Bücherkolu­mne rezensiert der Zürcher Journalist und Publizist Neuerschei­nungen und Klassiker.
Charles Linsmayer ist seit jeher besessener Leser. In seiner Bücherkolu­mne rezensiert der Zürcher Journalist und Publizist Neuerschei­nungen und Klassiker.

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