«Spitzt sich die Lage zu, muss die Polizei priorisieren»
Johanna Bundi Ryser, Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter, spricht im Interview über Gründe, Lösungen und drohende Folgen des Polizistenmangels.
Überall fehlen Polizisten. was läuft schief ?
Neben dem Fachkräftemangel führen schlechte Arbeitsbedingungen zu mehr Kündigungen. Stress, Überstunden und viele Bereitschaftsdienste zehren an den Kräften. Die Politik hat den gravierenden Fehler gemacht, bei der Polizei zu sparen. Wir warnen seit Jahren, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann. Polizisten zu rekrutieren und auszubilden dauert über zwei Jahre, wir können nicht von heute auf morgen aufstocken. Dazu kommen immer mehr Aufgaben für die Polizei.
sie sprechen die erhöhte Kriminalität an?
Zugewanderte, etwa aus den
Maghreb-staaten, weisen eine höhere Kriminalitätsrate auf. Wenn jemand 15 Autos aufbricht und dann 15 Geschädigte auf der Wache stehen, die mit nur drei Leuten besetzt ist, beschäftigt das alle mehrere Stunden lang. Wird einer verhaftet, braucht es oft einen Übersetzer, was das Ganze weiter erschwert. Was die Politik auch oft vergisst, ist die organisierte Kriminalität. Das alles bindet extrem viele Ressourcen und die Aufstockung des Personals hinkt dem deutlich hinterher.
Kann die Polizei ihre Aufgaben so noch wahrnehmen?
Schon jetzt kann sie bei Bagatellfällen nicht mehr immer ausrücken und sie lagert teils Aufgaben an private Sicherheitsdienste aus. Das mag harmlos klingen, doch wir verscherbeln so das Gewaltmonopol des Staates, was brandgefährlich ist. Spitzt sich der Personalnotstand zu, wird die Polizei priorisieren müssen. Rücken wir zuerst zu einer Schlägerei, zu einer Person in Not oder wegen eines vermissten Kindes aus? Das sind schwierige Entscheidungen. Kann die Polizei sich nicht mehr um alle Fälle kümmern, sinken das Vertrauen der Bürger und ihr Sicherheitsgefühl. Dann könnten uns bewaffnete Bürgerwehren drohen.
wie weit sind wir davon noch entfernt?
Noch ist die Polizei handlungsfähig. Doch: Ich habe von einem Korps gehört, das in gewissen Nächten auf dem ganzen Kantonsgebiet nur drei Patrouillen im Einsatz hat. Da braucht es wenig, damit diese
Kräfte nicht mehr ausreichen. was braucht es also?
In erster Linie muss in der Politik ein Umdenken stattfinden, damit bessere Arbeitsbedingungen geschaffen und mehr Polizisten eingestellt werden können. Weiter ist es wichtig, dass der Polizei die notwendigen Instrumente zur Verfügung gestellt werden. Doch auch die Korps selber müssen an sich arbeiten, etwa an ihren Führungsstrukturen oder ihrer Fehlerkultur.