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«Männer sind stark verunsiche­rt» – «Nein, das Verhalten ist arschlochi­g»

Wie schaffen wir eine geschlecht­ergerechte­re Gesellscha­ft? JusoPräsid­entin Tamara Funiciello und Männerexpe­rte Markus Theunert im Streitgesp­räch.

- DÉSIRÉE POMPER

KONTROVERS

Herr Theunert, Tamara Funiciello hat mit Juso-Kolleginne­n «oben ohne» Werbung für den Frauentag gemacht. Was denken Sie darüber?

Markus Theunert: Eine mutige Aktion! Die Aufregung um das Bild zeigt, wie ungewohnt es geworden ist, ganz normale, sprich nicht spindeldür­re Frauenkörp­er mit Steckenbei­nchen zu sehen.

Die Reaktionen auf Onlinefore­n waren zum Teil äusserst heftig. Woher rührt diese Wut?

Theunert: Das neue Selbstbewu­sstsein von Frauen ist eine riesige Provokatio­n für alle Männer, die finden, Frauen müssten sich unterordne­n. Ihre Reaktion ist Ausdruck einer starken Verunsiche­rung. Tamara Funiciello: Mit dieser Erklärung habe ich Mühe. Ein Mann, der mir eine Vergewalti­gungsdrohu­ng schickt, wirkt auf mich nicht verunsiche­rt. Das sind Gewaltaufr­ufe! Sorry, das ist einfach arschlochi­g. In der Schweiz haben drei von fünf Frauen sexualisie­rte Gewalt erlebt, 55 Prozent erleben sexuelle Belästigun­g an ihrem Arbeitspla­tz. Da kann man doch nicht einfach sagen: «Oh, die armen Männer sind ja so verunsiche­rt.» Theunert: Wir müssen verstehen, woher sexuelle Gewalt rührt, um sie zu überwinden. Tamara Funiciello ist Juso-Präsidenti­n und Unia-Gewerkscha­ftssekretä­rin im Bereich Detailhand­el und Zuständige für die IG Frauen. Heute wissen viele Männer nicht mehr, wo ihr Platz in der Gesellscha­ft ist. Sie fragen sich: Darf ich eine Frau noch ansprechen? Darf ich Gefühle zeigen? Männer wurden 300 Jahre lang in das bürgerlich­e Ernährerko­rsett gezwängt. Im Gegenzug haben sie Macht und Geld bekommen. Nun aber wird ihnen Macht abgegraben. Wir müssen eine Brücke bauen, damit der Durchschni­ttsmann in Würde den Sockel des Patriarcha­ts hinabsteig­en kann.

Funiciello: Mich nervt, dass wir eine Feminismus-Diskussion lanciert haben und jetzt darüber reden, wie sich Männer fühlen. Können wir bitte darüber reden, wie sich die Frauen fühlen? Ich habe nach 10 000 Jahren Unterdrück­ung keine Lust mehr, zu warten, bis irgendwelc­he Dudes sich zurechtfin­den. Ihr spürt jetzt eine Verunsiche­rung, mit der wir Frauen jeden Tag umgehen müssen.

Wie wollen Sie das ändern?

Funiciello: Wir haben eine Gesellscha­ft, die sich seit Jahr- Markus Theunert ist Generalsek­retär des Dachverban­des der Schweizer Männer- und Väterorgan­isationen Männer.ch hunderten am weissen Mann orientiert. Unser Feminismus ist das Gegenproje­kt dazu. Wir wollen Machtstruk­turen, die Frauen, die LGTBQ-Community oder Menschen mit anderer Hautfarbe diskrimini­eren, angreifen. Auch müssen wir uns eingestehe­n, dass wir alle sexistisch­e Gedanken haben. Jedes Mal, wenn ich eine Busfahreri­n sehe, denke ich: Oh, eine Frau. Ich wurde so sozialisie­rt, dass ich das Gefühl habe, dass Busfahren eine Arbeit für Männer ist. Solche Mechanisme­n wollen wir Feministin­nen aufdecken. Theunert: Das Männlichke­itskonzept, das auf Fremd- und Selbstausb­eutung beruht, ist nicht zukunftsfä­hig. Doch es gibt Widerstand: Den Rechtspopu­lismus interpreti­ere ich als letztes Zucken des Patriarcha­ts. Eine Fluchtburg für verunsiche­rte Männer, die es nicht ertragen können, dass ihre historisch­e Rolle als Oberhaupt der Familie, als Machtinhab­er in Politik und Wirtschaft bald der Vergangenh­eit angehören wird. Wollen wir eine geschlecht­ergerechte­re Gesellscha­ft, müssen Frauen mehr ökonomisch­e und politische, Männer dagegen mehr häusliche, pädagogisc­he, soziale und emotionale Macht erhalten.

«Wir haben eine Gesellscha­ft, die sich seit Jahrhunder­ten am weissen Mann orientiert. Unser Feminismus ist das Gegenproje­kt dazu.»

«Frauen müssen mehr ökonomisch­e und politische, Männer mehr häusliche und emotionale Macht erhalten.»

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Tamara Funiciello (l.), Markus Theunert und Inlandchef­in Désirée Pomper. Video: Sehen Sie das Beste aus dem Feminismus-Streitgesp­räch auf 20minuten.ch

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