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Wie viel bekomme ich für mein 24 cm langes Haar?
ZÜRICH. Auf der ganzen Welt opfern Frauen ihre Haare, um ihr Einkommen aufzubessern. Wie viel Geld bekomme ich in der Schweiz dafür?
Cindy Fröhlichs blondes Haar fällt bis zur Hüfte. Es ist das Haar einer Fremden. «Ich liebe langes Haar. Es ist die Antenne zur Übersinnlichkeit», sagt Cindy.
Im ausgebauten Keller eines Mehrfamilienhauses in Winterthur hat die 40-Jährige ihre Haar-Boutique eingerichtet. An den Wänden hängen Dutzende Haarbündel nach Länge und Farbe sortiert. Dickes, aschiges Kinderhaar von Rosa (8). Ein gelockter, schwarzer Männer-Rossschwanz. Cindy streichelt das Haar liebevoll. Später wird sie es Kundinnen als Extensions einarbeiten.
Wir sitzen zwischen den abgeschnittenen Zöpfen und trinken Kaffee. Einige davon wurden Cindy, die auch als Kartenlegerin und spirituelle Beraterin tätig ist, von Privatpersonen zugeschickt. Andere erhält sie von ihrem persönlichen Haarjäger. Dieser kontaktiert Frauen im Internet und besucht sie in ganz Europa. «Er liebt es, langes Frauenhaar abzuschneiden», sagt Cindy und legt seine letzte Beute auf den Tisch: dicke Zöpfe aus Albanien, einen grauen 1-Meter-Zopf aus Portugal. 1000 Franken habe die Besitzerin dafür bekommen. Das Wertvollste in Cindys Repertoire: eine 1,20 Meter lange, hellblonde, gelockte Haarpracht. Ein Kunde zahlt dafür rund 2500 Franken.
Einen grossen Teil der Haare erhält Cindy von Lieferanten aus Osteuropa. Das Preis-Leistungs-Verhältnis sei grundsätzlich gut. Aber: «Sie haben mir auch schon vier Kilogramm ungewaschenes Haar für 4000 Franken geschickt. Das war ekelhaft.» Die Haare hätten noch gemenschelt: «Der Fettgeruch haftete daran.» Sie habe Wochen damit verbracht, sie zu reinigen. Das Haar stammte von Frauen aus ärmeren ländlichen Regionen in der Ukraine, Moldawien oder Rumänien, wo die Frauen ihr Haar nicht regelmässig waschen können. Mit dem Verkauf ihrer Haare verdienten sie bis zu einem Monatslohn.
Wie freiwillig diese Frauen ihr langes Haar wohl abschneiden lassen? Klar, physisch schmerzhaft ist das nicht. Dennoch symbolisieren lange Haare für gewisse Frauen Stär
«Die Haare haben noch gemenschelt. Ich brauchte Wochen, um sie zu reinigen.» Cindy Fröhlich (40) kauft europäisches Echthaar für Extensions.
ke und Weiblichkeit. Hat Cindy nie ein schlechtes Gewissen, die finanzielle Not der Frauen auszunützen? «Nein, ich zahle faire Preise und behandle die Haare mit Respekt», sagt die gelernte Coiffeuse.
Mich nimmt es wunder, wie viel Geld mir mein Haar in die Kasse spülen könnte. Mein Haar sei schön, gesund und habe kaum Spliss, sagt Cindy. Ich rechne mit mindestens hundert Franken. Cindy bindet mir einen Rossschwanz, misst und wiegt ihn. 24 Zentimeter, 35 Gramm. «Dafür bekommst du 25 Franken.» Einträglicher sei es, das Haar an Haarfetischisten zu verkaufen, sagt Cindy. «Aber die machen ekelhafte Dinge damit.» Ich entscheide mich gegen einen neuen Haarschnitt.