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«Erdogan will den Druck erhöhen»
ZÜRICH. Nach Kritik aus Europa droht die Türkei, Flüchtlinge zu schicken. Experte Kristian Brakel hält das für unrealistisch.
Herr Brakel, nach der türkischen Offensive in Syrien wird gewarnt, dass gefangene IS-Kämpfer entkommen könnten.
Im betroffenen Gebiet gibt es wenige Gefängnisse, in denen IS-Kämpfer sitzen. Problematisch ist, dass die kurdische Miliz YPG ihr Personal abzieht, um sich türkischen Streitkräften entgegenzustellen. Nun liegt es an türkischen Kräften, sich um festgehaltene IS-Kämpfer zu kümmern.
Warum ist das ein Problem?
Es ist fraglich, wie ernst Erdogan die Aufgabe nimmt, da seine Priorität eindeutig bei der Bekämpfung der kurdischen PKK und nicht beim IS liegt.
Trump behauptet, IS-Kämpfer, die sich befreien könnten, würden nach Europa flüchten. Wie gross ist das Risiko?
Die Gefahr, die vom IS ausgeht, ist sehr schwer einschätzbar. Das Risiko, dass er durch die türkische Invasion erstarkt, besteht. Es ist sicher nicht falsch, davon auszugehen, dass die Gefahr für Europa grösser ist als für die USA. Doch selbst wenn IS-Kämpfern die Flucht gelingt, müssen sie zuerst in die Türkei.
Erdogan hat der EU nach Kritik an seiner Militäroffensive gedroht, 3,6 Millionen Flüchtlinge nach Europa zu schicken. Wie realistisch ist das?
Ich halte das für sehr unrealistisch. Erdogan will damit den Druck auf die EU erhöhen, weil er genau weiss, wie gross die dortige Angst vor weiteren Flüchtlingsströmen ist. Selbst wenn die Türkei Flüchtlinge etwa an die bulgarische Grenze fahren würde, die ist ja dann immer noch zu.
Was kann die EU tun, um die türkische Invasion zu stoppen?
Nicht viel. Erdogan weiss, dass sich die EU nur dafür interessiert, dass möglichst wenige Flüchtlinge kommen.
Was könnten die USA tun?
Trump könnte etwa die Lufträume schliessen lassen. Momentan sieht es nicht so aus, als ob er daran Interesse hätte.