Dökterlen: Wichtig oder respektlos?
ZÜRICH. Kinder dürfen in Krippen laut Verhaltenskodex Doktor spielen. Doch viele Krippen hielten sich nicht daran, kritisiert ein Sexualpädagoge.
Weil ein fünfjähriger Bub versucht haben soll, einen anderen zu penetrieren, hat die Kesb ein psychiatrisches Gutachten in Auftrag gegeben (20 Minuten berichtete). Dabei ist es laut Sexualpädagogen normal und sogar wichtig, dass Kinder in diesem Alter Doktorspiele spie- len. So heisst denn auch der Verband der Kindertagesstätten das Spiel in seinem Verhaltenskodex gut (siehe Box).
Allerdings wird diese Empfehlung laut Sexualpädagoge Bruno Wermuth von Krippen oft nicht befolgt. «Ich stelle zunehmend fest, dass Nacktheit und Doktorspiele in Krippen verboten sind.» Die Verantwortlichen fürchteten sich vor den Reaktionen der Eltern. «Indem Krippen Kinder daran hindern, ihren Körper kennen zu lernen, erfüllen sie ihre Kernaufgaben nicht – nämlich den Kindern eine ungestörte Entwicklung zu ermöglichen, in der alle Sinne erlebt und erweitert werden können.»
Doktorspiele sind auch in der Krippe von Nadja Pieren verboten: «Wenn Kinder versuchen, sich im Intimbereich zu berühren, dann stoppen wir das», sagt die SVP-Nationalrätin. Die körperliche Intimsphäre der Kinder müsse respektiert werden.
Einen Trend hin zum Dökterli-Verbot an Krippen kann Nadine Hoch, Geschäftsleiterin des Krippenverbandes, nicht bestätigen. Brigitte Fleuti, Präsidentin des Zürcher Kindergartenverbandes, dagegen stellt fest: «In den 70er-Jahren war das Verhältnis zum Körper viel entspannter. Ausserdem leben heute Kinder aus Kulturen bei uns, in denen Nacktheit ein Tabuthema ist.» Das müsse man respektieren. Deshalb empfiehlt Fleuti, dass die Kindergartenkinder beim Spielen die Kleider anbehalten sollen.