«Ärzte dürfen Eltern nicht zu Abklärungen drängen»
BERN. Eine Patientin verklagt ihren Arzt, weil sie ein krankes Kind gebar. Wie hoch ist der gesellschaftliche Druck?
Eine Patientin hat ein krankes Kind zur Welt gebracht, das sie abgetrieben hätte, wenn sie von dessen Erbkrankheit gewusst hätte. Der Gynäkologe habe auf vorgeburtliche Abklärungen verzichtet. Nun fordere sie eine Million Franken, weil der «Schaden» entstanden sei, berichtet die «Berner Zei tung». Der Gynäkologe widerspricht: Sie habe ihm gegenüber deutlich gemacht, dass sie das Kind so oder so zur Welt bringen wolle.
Die Frau gehört zu einer grossen Mehrheit. Verschiedene Studien belegen, dass rund 90% der Schweizer Frauen eine Abtreibung vornehmen, wenn vorgeburtliche
Tests auf eine mögliche Behinderung hindeuten. Letztes Jahr wurden in der Schweiz rund 10000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Die meisten erfolgten aus psychosozialen Gründen. Abtreibungen aufgrund von Krankheiten oder Störungen, die beim ungeborenen Kind festgestellt werden, werden kontrovers diskutiert.
Samuel Steiner, Verantwortli cher Sozialpolitik bei der Behindertenorganisation Insieme Schweiz, kritisiert die Zunahme von Tests in der Schwangerschaft. «Es kommt vor, dass Gynäkologen bei den Eltern gar nicht nachfragen, ob sie diese wirklich durchführen wollen», so Steiner. Das sei nicht richtig, die Autonomie solle vollständig bei den Eltern liegen. «Ärzte dürften Eltern nicht zu Abklärungen drängen, sondern sie nur ausführlich über ihre Möglichkeiten informieren.» So sehe es auch das Gesetz vor.
«Es kommt vor, dass Gynäkologen bei den Eltern gar nicht nachfragen, ob sie die Tests wirklich durchführen wollen.» Samuel Steiner Insieme Schweiz.