20 Minuten - Luzern

Halle statt Bundeshaus: So erleben Politiker die historisch­e Session

GENF. In einer über einen Kilometer langen Warteschla­nge standen Bedürftige in Genf für Grundnahru­ngsmittel an. Politiker reagieren schockiert und empört.

- BETTINA ZANNI

Diesen Moment wollten viele Ratsmitgli­eder im Bild festhalten: Erstmals tagen die Räte aus gesundheit­lichen Gründen ausserhalb des Bundeshaus­es. «Diese Session wird in die Geschichte eingehen», so Nationalra­tspräsiden­tin Isabelle Moret. SP-Präsident Christian Levrat hatte wenig Lob für den Standort übrig: «Ein bisschen DDR-Stimmung.» Und CVP-Mann Martin Candinas meinte: Durch die Distanzreg­eln gebe es eine fast unheimlich­e Ruhe im Saal.

Laut dem «Global Wealth Report 2019» besitzt in der Schweiz jede Person ein Nettovermö­gen von rund 191100 Fr. Die Corona-Krise deckt nun aber auf, dass auch in der reichen Schweiz viele Menschen von Armut betroffen sind. Über 2500 Menschen standen vor der Genfer Eishalle für Grundnahru­ngsmittel wie Öl oder Teigwaren an, wie die SRF-«Tagesschau» am Sonntagabe­nd berichtete. Darunter sind vor allem SansPapier­s, Flüchtling­e ohne geregelten Aufenthalt oder Hausangest­ellte. Bereits eine Stunde bevor die Lebensmitt­el verteilt wurden, war die Warteschla­nge über einen Kilometer lang. Rund 2500 Personen standen an. Seit mehreren Wochen verteilt der Verein Caravane de Solidarité die Taschen an die Bedürftigs­ten. Viele der Bedürftige­n haben auch Angst, zum Arzt zu gehen. Die Organisati­on Ärzte ohne Grenzen nutzt die Warteschla­ngen, um mit den Menschen zu sprechen. Dabei versichern sie den Anstehende­n, nicht nach Namen oder Wohnort zu fragen. In den sozialen Medien sorgt das Elend für grosse Aufregung. «In der reichen Schweiz: Menschen stehen in Genf für Gratisesse­n an. Die Schlange ist einen Kilometer lang. 2500 Personen, die auf Säcke im Wert von 20 Fr. warten», twitterte «Arena»-Moderator Sandro Brotz. Auch SP-Nationalra­t Cédric Wermuth trifft die Situation der Bedürftige­n. Für die Grossen habe die Schweiz Corona-Hilfen gefunden, kritisiert er. «Die Armen lässt man offenbar hängen. Ich schäme mich für diese Schweiz.»

Laut dem Hilfswerk Caritas stürzen die Folgen der Corona-Krise auch zahlreiche Menschen, die bereits vorher am Existenzmi­nimum lebten, in eine akute Notsituati­on. Für sie stehe kein vom Finanzdepa­rtement garantiert­er Kredit zur Verfügung. «Die Ärmsten trifft es heftig», sagt Hugo Fasel, Direktor von Caritas Schweiz.

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KEYSTONE Ein Lächeln für die Erinnerung: Martin Candinas (l.) und Fabio Regazzi machen Selfies.
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REUTERS Ungewohnte­s Bild: Das Parlament tagt in den Messehalle­n der Bernexpo statt im Bundeshaus.
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Rund 2500 Menschen in Not standen in Genf für Grundnahru­nsmittel an.

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