Heftige Kritik an der Ausschaffungs-praxis
BERN. Eine erste Bilanz zum Ausschaffungsartikel zeigt: Viele Täter ohne Schweizer Pass kassieren keinen Landesverweis.
BERN. Die Justiz wendet die Härtefallklausel häufig an: In fast jedem zweiten Fall entgehen ausländische Straftäter dem Landesverweis, obwohl ihr Delikt unter den Ausschaffungsartikel fällt. Die SVP ist sauer: Von der versprochenen «pfefferscharfen Umsetzung» sei man weit weg. Sibel Arslan (Grüne) kontert: Bei kleinen Delikten sei die Verhältnismässigkeit zu wahren.
Die Justiz sprach 2017 mindestens 1210 Urteile gegen Ausländer aus, die gemäss der Umsetzung der Svpausschaffungsinitiative einen Landesverweis nach sich ziehen – sie haben eine Katalogtat wie Betrug oder schwere Körperverletzung begangen. Trotzdem gab es laut einer ersten Analyse des Bundesamts für Statistik in 46 Prozent der Fälle keinen Landesverweis (siehe rechts). Grund dafür ist, dass das Gesetz für Härtefälle eine Ausnahme vorsieht. Diesen Passus wollte die SVP mit der Durchsetzungsinitiative (DSI) kippen – und verlor die Abstimmung im Februar 2016.
Für Exsvppräsident Toni Brunner bestätigt die Bilanz, dass die Härtefallklausel eine «Täterschutzklausel» sei: «Das Volk wurde brandschwarz angelogen. Die Gegner der DSI versprachen eine ‹pfefferscharfe Umsetzung› und 4000 Ausschaffungen pro Jahr. Davon sind wir weit entfernt.» Nun müsse die SVP die Härtefallklausel beseitigen. Unzufrieden ist aber auch Philipp Müller (FDP), ein Befürworter des heutigen Gesetzes: «Das habe ich mir anders vorgestellt. Die Anwendung der Härtefallklausel, ein Verzicht auf einen Landesverweis, sollte die Ausnahme sein.» Müller verlangt eine Praxisänderung: Staatsanwälte sollen Fälle von Tätern mit Aufenthaltsbewilligung künftig nicht mehr mittels Strafbefehlen erledigen – in solchen Fällen ist ein Verweis nicht möglich, da diesen ein Gericht anordnen muss.
Von «Stimmungsmache» spricht dagegen Sibel Arslan (Grüne): «Das Volk hat die DSI abgelehnt. Die SVP versucht, die Richter unter Druck zu setzen.» Auch Laura Zimmermann von der Operation Libero sagt: «Es ist nicht Aufgabe der Politik, die Arbeit der Richter im Einzelfall zu beurteilen.»