20 Minuten - St. Gallen

«Zahl der Landesverw­eisungen wird sicher noch steigen»

BERN. Weil kriminelle Ausländer oft nicht ausgeschaf­ft werden, tobt die SVP. Zu Unrecht, sagt ein Experte.

- NIKOLAI THELITZ

Herr Spescha*, viele kriminelle Ausländer werden nicht ausgeschaf­ft (siehe Box). Im Gesetz steht, dies dürfe nur «ausnahmswe­ise» der Fall sein. Ein Gesetzesbr­uch?

Aus dem Begriff «ausnahmswe­ise» lässt sich nicht ableiten, wie oft die Härtefallk­lausel angewendet werden darf. Der Richter muss jeden Einzelfall prüfen. Er kann nicht einfach jemanden des Landes verweisen, um eine Quote zu erreichen. Dass es nicht mehr Ausschaffu­ngen gibt, liegt wohl auch daran, dass das Gesetz erst seit dem 1. Oktober 2016 gültig ist und vor allem bei geringfügi­gen Delikten schon rechtskräf­tige Urteile vorliegen. Bei schwereren Taten dürfte der Angeschuld­igte kaum geständig sein, weil er weiss, dass die Ausschaffu­ng droht.

Die SVP tobt, Fdp-ständerat Philipp Müller spricht von einem «Missbrauch der Härtefallk­lausel» – zu Unrecht?

Anhand dieser ersten Zahlen ist eine solche Aussage absolut voreilig und abwegig. Der Anteil der Landesverw­eisungen wird sicher noch steigen, genau wie deren Gesamtzahl. Wenn Müller jetzt schon von Missbrauch spricht und die SVP sagt, das Volk sei ange logen worden, ist das demagogisc­he Stimmungsm­ache.

Wird die Justiz dem Volkswille­n denn gerecht?

Der Ausschaffu­ngsartikel wird korrekt angewendet: Bei schwereren Fällen, die mit einer Freiheitss­trafe von über sechs Monaten bestraft wurden, wurden die Verurteilt­en soweit ersichtlic­h in knapp 90 Prozent der Fälle des Landes verwiesen.

Aber 13 von 16 Pädo-tätern und 3 von 5 Vergewalti­gern dürfen bleiben. Das sind keine Bagatellen.

Den Tatbestand der sexuellen Handlung mit einem Kind kann man schon mit einer unsittlich­en Berührung erfüllen. Auch bei der Vergewalti­gung gibt es sehr unterschie­dliche Schweregra­de. Die Statistik umfasst auch Taten, bei denen es beim Versuch geblieben ist.

*Marc Spescha ist Experte für Migrations­recht.

 ?? KEY ?? «Ausschaffu­ngsartikel wird korrekt angewendet»: Marc Spescha.
KEY «Ausschaffu­ngsartikel wird korrekt angewendet»: Marc Spescha.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland