«Zahl der Landesverweisungen wird sicher noch steigen»
BERN. Weil kriminelle Ausländer oft nicht ausgeschafft werden, tobt die SVP. Zu Unrecht, sagt ein Experte.
Herr Spescha*, viele kriminelle Ausländer werden nicht ausgeschafft (siehe Box). Im Gesetz steht, dies dürfe nur «ausnahmsweise» der Fall sein. Ein Gesetzesbruch?
Aus dem Begriff «ausnahmsweise» lässt sich nicht ableiten, wie oft die Härtefallklausel angewendet werden darf. Der Richter muss jeden Einzelfall prüfen. Er kann nicht einfach jemanden des Landes verweisen, um eine Quote zu erreichen. Dass es nicht mehr Ausschaffungen gibt, liegt wohl auch daran, dass das Gesetz erst seit dem 1. Oktober 2016 gültig ist und vor allem bei geringfügigen Delikten schon rechtskräftige Urteile vorliegen. Bei schwereren Taten dürfte der Angeschuldigte kaum geständig sein, weil er weiss, dass die Ausschaffung droht.
Die SVP tobt, Fdp-ständerat Philipp Müller spricht von einem «Missbrauch der Härtefallklausel» – zu Unrecht?
Anhand dieser ersten Zahlen ist eine solche Aussage absolut voreilig und abwegig. Der Anteil der Landesverweisungen wird sicher noch steigen, genau wie deren Gesamtzahl. Wenn Müller jetzt schon von Missbrauch spricht und die SVP sagt, das Volk sei ange logen worden, ist das demagogische Stimmungsmache.
Wird die Justiz dem Volkswillen denn gerecht?
Der Ausschaffungsartikel wird korrekt angewendet: Bei schwereren Fällen, die mit einer Freiheitsstrafe von über sechs Monaten bestraft wurden, wurden die Verurteilten soweit ersichtlich in knapp 90 Prozent der Fälle des Landes verwiesen.
Aber 13 von 16 Pädo-tätern und 3 von 5 Vergewaltigern dürfen bleiben. Das sind keine Bagatellen.
Den Tatbestand der sexuellen Handlung mit einem Kind kann man schon mit einer unsittlichen Berührung erfüllen. Auch bei der Vergewaltigung gibt es sehr unterschiedliche Schweregrade. Die Statistik umfasst auch Taten, bei denen es beim Versuch geblieben ist.
*Marc Spescha ist Experte für Migrationsrecht.