«Die Folgen der Lockerung sieht man in drei Wochen»
BASEL. Epidemiologieprofessor Heiner Bucher glaubt nicht mehr an Konzerte 2020. Er sagt, wie eine zweite Welle verhindert werden kann.
Herr Bucher, vor Baumärkten bildeten sich gestern lange Schlangen. Sind Sie besorgt?
Ich hoffe, dass sich die Leute an die Hygiene- und Abstandsregeln halten. Eine gewisse Lockerung ist aber zwingend. Wir können nicht so weitermachen, bis die Impfung kommt. Wie gross ist die Gefahr einer zweiten Welle?
Die Folgen der Lockerung sehen wir wegen der Inkubationszeit in rund drei Wochen. Würden wir alle Massnahmen aufheben, wäre eine zweite Welle unvermeidbar: Der Immunschutz der Bevölkerung ist noch ungenügend. Allerdings wissen wir nicht genau, wie viele Leute schon immun gegen Covid-19 sind. Die fehlenden Daten müssen Bund und Kantone nun dringend mithilfe von Antikörpertests erheben.
Macht der Bundesrat eine schlaue Lockerungspolitik?
Die Politik befindet sich im Blindflug ohne Bordinstrumente. Wir brauchen aber Instrumente: Daten zur Entwicklung der Immunität in der Bevölkerung und eine nationale Teststrategie.
Wie sollte diese aussehen?
Ab Herbst sollten Schnelltests beim Hausarzt verfügbar sein, um einen Corona-verdacht abzuklären. Auch sollten Risikogruppen möglichst breit getestet werden. Dazu zählen exponierte Berufsgruppen wie
Gesundheitspersonal oder Zugbegleiter. Treten Fälle auf, müssen die Kontaktpersonen rasch eruiert, getestet und allenfalls isoliert werden. Wie wichtig sind Masken beim Exit?
Masken machen dort am meisten Sinn, wo Leute eng aufeinander sind: im ÖV, im Supermarkt oder beim Coiffeur.
Wann können wir wieder an Konzerte gehen oder reisen? Grossveranstaltungen wird es in diesem Jahr kaum mehr geben. Hätte die Basler Fasnacht stattgefunden, hätten wir Zustände wie im Elsass gehabt. Im interkontinentalen Flugverkehr rechne ich mit Einschränkungen. Es ist nicht abwegig, dass man in gewisse Länder nur noch mit einem positiven Antikörpertest einreisen darf.
«Die Politik befindet sich im Blindflug ohne Bordinstrumente.»
Prof. Dr. med. Heiner C. Bucher ist Direktor des Instituts für klinische Epidemiologie Basel und Chefarzt am Universitätsspital Basel.