Die Hintergründe zu den Dijon-krawallen
ZÜRICH. Im französischen Dijon eskalierte in den letzten Tagen ein Bandenkrieg. Ein Politologe gibt Antworten.
Herr Grillmayer, wie konnte es in Dijon, das bislang nicht als Hotspot für Unruhen bekannt war, zu derartigen Ausschreitungen kommen?
Der soziale Wohnungsbau der Nachkriegszeit hat in vielen Städten – auch in kleineren – Viertel entstehen lassen, die sich später teilweise zu sozialen Brennpunkten entwickelt haben. In diesen treten Arbeitslosigkeit und Armutsgefährdung geballt auf. Auch 2005 waren nicht nur Grossstädte betroffen.
Dijons Bürgermeister François Rebsamen sagte, die Tschetschenen hätten die Sache selbst geregelt, weil die Justiz zu spät reagiert habe und die Polizei über zu wenige Mittel verfüge.
Es gibt keine Rechtfertigung für diese Form der Selbstjustiz. Und der Vorfall ist erst wenige Tage her, die Ermittlungen laufen. Aber es stimmt schon, dass die Justizbehörden überlastet sind und die Ausstattung der Polizei vielerorts zu wünschen übrig lässt. Rebsamen wollte auf die Versäumnisse des Staates hinweisen.
Ein Sprecher der Exil-tschetschenen sagte zur Lokalzeitung «Le Bien Public», man wolle nicht unter einem Regime von Drogendealern leben. Gleichzeitig kündigte die «algerische Mafia» auf Social Media an, Dijon «zurückzuerobern».
Beide Seiten vermitteln den Eindruck, sie müssten sich selbst helfen. Und tatsächlich ist bisweilen zu beobachten, dass bestimmte Gruppen versuchen, die vermeintliche Lücke, die durch die gefühlte Abwesenheit des Staates entstanden ist, zu schliessen.
Politologe Dominik Grillmayer.
Was braucht es, damit sich die Lage beruhigt und die Situation längerfristig verbessert?
Die Lage wird sich aus meiner Sicht sehr schnell wieder beruhigen. Die Probleme lassen sich aber nicht kurzfristig mit Polizeieinsätzen lösen, sondern nur mittel- bis langfristig durch eine zielgerichtete Bildungs- und Sozialpolitik, die auf die Verhältnisse vor Ort eingeht und die lokalen Akteure stärker einbezieht. Auf Lösungen aus Paris zu warten, hilft nicht.
Dominik Grillmayer ist Politologe und Leiter des Bereichs Gesellschaft am Deutsch-französischen Institut in Ludwigsburg.