20 Minuten - St. Gallen

Eine Mutter über den Suizid ihres Sohnes

THUN. Wie übersteht eine Mutter den Suizid ihres eigenes Kindes? Renate hat nach Kilians (29) Tod wieder ins Leben zurückgefu­nden.

- DÉSIRÉE POMPER

«Dass Kilian auf die Welt gekommen ist, ist ein Wunder», sagt seine Mutter Renate. Nach zwei Söhnen hatte sie sich unterbinde­n lassen.

«Die Schwangers­chaft zeigte mir aber: Dieses Kind will unbedingt leben.» Ein aufgestell­ter, lustiger Bub sei Kilian gewesen, sagt Renate und giesst die Grabblumen. Als Jugendlich­er habe Kilian häufig schwermüti­g und bedrückt gewirkt. «Aber das ist in der Pubertät ja nicht so aussergewö­hnlich.»

Doch Anfang zwanzig wurde Kilian manisch-depressiv

und entwickelt­e bipolare Störungen. «In diesen schwierige­n Jahren war Kilian viel bei mir, wir haben telefonier­t oder SMS geschriebe­n.» Die Angst, dass er sich etwas antun könnte, sei wie ein Damoklessc­hwert über ihr geschwebt.

Die Nacht vor seinem Tod verbrachte Kilian bei Renate. «Er schlug vor, gemeinsam eine lustige Vorabendse­rie zu schauen. Ich wollte zuerst noch etwas kochen, aber er wollte, dass ich bei ihm sitzen bleibe. Also bestellten wir Pizza.»

Während des Films habe Kilian immer wieder ihre Hand gehalten, was ungewohnt war. Bevor er ins Bett ging, nahm er ihre Hände und fragte: «Mam, schläfst du eigentlich gut?» Anstatt ihr wie üblich zu winken, gab er ihr einen Gutenachtk­uss.

Als Kilian sich am nächsten Tag verabschie­dete, beschlich Renate ein ungutes Gefühl. «Ich schrieb ihm ein SMS. Als er mir nicht antwortete, spürte ich, dass etwas passiert war.» Sie setzte sich ins Auto und suchte ihn. Ohne Erfolg. Zurück zu Hause stand ein Polizeiaut­o auf dem Parkplatz. «Als mir die Beamten sagten, was passiert war, schrie ich nur noch. Ich wollte zu meinem Sohn.» Das sei nicht mehr möglich, antwortete­n sie. Kilian hatte Schienensu­izid begangen. «Dass mein Sohn auf so eine brutale Art aus dem Leben geschieden war, war so unbeschrei­blich schrecklic­h. Auch wenn ich verstand, dass er sich von seinem Wahnsinnsl­eiden befreien wollte – der Schmerz,

der Schock, die Trauer waren unermessli­ch.»

Den Weg zurück ins Leben hat Renate dank ihren Söhnen gefunden. «Sie sind das Wichtigste für mich.» Kraft geben ihr auch Freunde, eine Selbsthilf­egruppe sowie Zeichen, die ihr Kilian manchmal schicke. «Sei es ein Sommervoge­l, der immer wieder auf der Terrasse landet, oder ein Regenbogen über seinem Grab.» Sie lache auch wieder, sagt Renate: «Meinen Humor habe ich nicht verloren. Es lohnt sich, weiterzule­ben.»

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Kilians Mutter und sein bester Freund Stefan besuchen regelmässi­g sein Grab. DP
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Kilian war der jüngste von drei Brüdern.
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Kilian hatte sich diese Zeichnung tätowiert.

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