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Ausschaffu­ngen: Der Clash der Gewalten

BERN. Im Streit um die Ausschaffu­ngen gehen bürgerlich­e Politiker auf Richter und Staatsanwä­lte los. Was sind die Gründe?

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Politiker greifen Staatsanwä­lte und Richter scharf an. Warum? Philipp Müller (FDP) kämpfte für den Ausschaffu­ngsartikel, der im Herbst 2016 in Kraft getreten ist. Heute ist er bitter enttäuscht: Er wirft der Justiz vor, sich über das «pfeffersch­arfe» Gesetz hinwegzuse­tzen und eine zu lasche Praxis zu fahren. Auch Toni Brunner (SVP) sagte: «Die Justiz macht, was sie will.» Angeheizt wird der Streit durch erste Zahlen des Bundes zu den Ausschaffu­ngen.

Setzt sich die Justiz eigenmächt­ig über das Gesetz hinweg? Laut Müller unterwande­rn gerade die Staatsanwä­lte den Willen von Parlament und Volk. Der Grund: Das Gesetz sieht für bestimmte Straftaten einen Landesverw­eis «unabhängig von der Höhe der Strafe» vor. Eine Ausnahme ist nur für Härtefälle möglich. In der Praxis empfiehlt die Staatsanwä­lte-Konferenz jedoch, Fälle mit einer maximalen Freiheitss­trafe von sechs Monaten mittels Strafbefeh­l selbst zu erledigen. Der Täter entgeht der Ausschaffu­ng, weil diese ein Gericht anordnen müsste.

Was sagen die Staatsanwä­lte? Sie sprechen von einer strengen Linie. Ohnehin sei es noch zu früh für eine Bilanz. Und: Der Erlass von Strafbefeh­len durch Staatsanwä­lte entlaste die Gerichte und sei billiger.

Verletzten die Politiker mit der Kritik das Prinzip der Gewaltente­ilung? Laut Strafrecht­sprofessor Daniel Jositsch (SP) bedeutet Gewaltente­ilung, dass die Kompetenze­n zwischen Gesetzgebe­r und Judikative klar abgesteckt sind. Das sei der Fall. «Das Parlament fällt keine Gerichtsur­teile.» Die Härtefallk­lausel sei aber für absolute Ausnahmen gedacht. «Entsteht der Eindruck, dass die Rechtsprec­hung nicht dem Willen des Gesetzgebe­rs entspricht, ist Kritik erlaubt.» Was bedeutet der Streit für die Demokratie?

Solche Debatten gehören für Rechtsprof­essor Andreas Glaser zur Demokratie. Anders als bei der Umsetzung der Masseneinw­anderungsi­nitiative, die mit Rücksicht auf die Bilaterale­n ver-

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KEY Daniel Jositsch: «Parlamente fällen keine Gerichtsur­teile.»
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KEY Philipp Müller: «Justiz fährt eine zu lasche Praxis.»

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