«Spiegel»-Journalist hat Geschichten erfunden
HAMBURG. «Der Spiegel» hat einen Betrugsfall im eigenen Haus aufgedeckt und geht nun mit einer «Selbstanzeige» in die Gegenoffensive.
Vor wenigen Wochen wurde er noch mit dem Deutschen Reporterpreis 2018 ausgezeichnet, nun wird klar: Claas Relotius (33) dürfte für den grössten Betrugsfall in der deutschen Medienlandschaft verantwortlich sein seit den gefälschten Hitler-Tagebüchern von 1983. Der in Hamburg lebende Journalist soll, wie gestern bekannt wurde, Geschichten manipuliert und Zitate, Quellen und Personen frei erfunden haben.
Aufgeflogen ist Relotius mit der Reportage «Jaegers Grenze» über eine Bürgerwehr in Arizona. Die Pressesprecherin der im Text ausführlich zitierten Einheit war stutzig geworden, weil Relotius im Lauf seiner angeblichen Recherchen nie an sie herangetreten war. Verdacht hatte zuvor schon dessen Redaktionskollege Juan Moreno geschöpft, der als Co-Autor der genannten Story wirkte. Er hatte dem Betrüger nachrecherchiert und diesen mit seinen Erkenntnissen bei Kollegen und Vorgesetzten gemeldet.
Vergangenen Donnerstag knickte Relotius in einem Treffen mit seinen Vorgesetzten schliesslich ein. Manche seiner Geschichten seien «sauber recherchiert und Fake-frei», sagte er. Andere jedoch seien «aufgehübscht mit frisierten Zitaten und sonstiger Tatsachenfantasie» – und wiederum andere «komplett erfunden».
Für die Chefredaktion des «Spiegel» ist der mehrfach ausgezeichnete Journalist kein Reporter, sondern ein «Märchenerzähler». Er hat sein Büro am Sonntag geräumt und seinen Vertrag am Montag gekündigt.
Das genaue Ausmass des Falles Relotius, der freiberuflich unter anderem auch für die «NZZ am Sonntag», die
Diese
wurde
«Weltwoche» und «Reportagen» geschrieben hat, ist noch nicht bekannt.
Der «Spiegel», bei dem der Journalist sieben Jahre lang fester Mitarbeiter war, bat bei den Lesern um Verzeihung. Der Fall Relotius sei ein «Tiefpunkt in der 70-jährigen Geschichte des ‹Spiegel›».