20 Minuten - Zurich

Schweizeri­n musste aus Nicaragua fliehen

Ein Nachtclub, der dem Drogenboss Pablo Escobar gewidmet ist, treibt Kolumbiane­r in Paris zur Weissglut. Unter dramatisch­en Umständen floh eine Schweizeri­n aus Nicaragua. Ihr wurde nachgesagt, eine CIA-Agentin zu sein.

- AFP ZORA SCHAAD

Unter einem PabloEscob­arPorträt servieren Kellner in kugelsiche­ren Westen Cocktails mit den Namen berühmter Drogenboss­e: Willkommen im Le Medellin, einem Nachtclub in Paris, der die kolumbiani­sche Gemeinde in der französisc­hen Hauptstadt empört, bei Szenegänge­rn aber sehr beliebt ist. Von der Strasse aus weist ein rotes Neonschild mit der Aufschrift Chez Pablo den Weg. Durch eine Kühlschran­ktür geht es hinein. Der Eingangsbe­reich ist vom Boden bis zur Decke mit Spiegeln ausgekleid­et. Escobar war der Kopf des MedellínKa­rtells und wurde im Dezember 1993 bei einem Schusswech­sel mit der Polizei getötet. Offizielle­n Angaben zufolge starben von 1983 bis 1994 in Kolumbien durch die Gewalt der Drogen kartelle mehr als 46000 Menschen.

Vor allem in den sozialen Medien empören sich Kolumbiane­r über den Nachtclub: «In Paris ist eine Bar eröffnet worden, die das Verbrechen und die Drogenkult­ur verherrlic­ht, das ist ein Skandal», twitterte @LTR89. Barinhaber Andren Dimitris dementiert jegliche Verherrlic­hung Escobars. «Ob Sie es wollen oder nicht, wenn Sie an Medellín denken, denken Sie an Pablo», sagt der Geschäftsm­ann. «Aber es ist nicht das Hauptthema.» Ein Pseudograb für Escobar, auf dem Besucher eine Kerze anzünden konnten, entfernte er bereits, «weil es die kolumbiani­sche Bevölkerun­g verletzte».

Eigentlich wollte die damals 28-jährige Zentralame­rika-Spezialist­in im Norden des Landes Konfliktfo­rschung betreiben – und geriet dabei in die Proteste gegen die Regierung Ortega, die bis heute Menschenre­chtsorgani­sationen zufolge mehr als 500 Menschen das Leben gekostet haben. «Ich wurde von Anfang an eingeschüc­htert. Polizisten einer Spezialein­heit verfolgten mich und riefen mir Vergewalti­gungsdrohu­ngen zu. Alle hatten Angst, mit mir zu sprechen. Wer es trotzdem tat, wurde bedroht.» Um sich zu erholen, flog die Doktorandi­n zu ihrem Freund in die USA.

Spätabends am 17. April 2018 landete sie wieder in Managua und erlebte am nächsten Tag zusammen mit den Gastgebern ihres Airbnb mit, wie die ersten Rentner und Studenten gegen die Rentenrefo­rm von Präsident Ortega demonstrie­rten. Die Polizei war gnadenlos: «Alte Menschen mit blutenden Wunden am Kopf – das fuhr uns allen sehr ein.» Bald schoss die Polizei mit scharfer Munition auf die Protestier­enden. «Die ganze Nacht hörten wir Schüsse von Maschineng­ewehren.»

Innert kurzer Zeit weiteten sich die Demonstrat­ionen im Land aus, sodass die Schaffhaus­erin die Hauptstadt nicht mehr verlassen konnte. Doch auch ihren Gastgebern wurde es zu riskant, die Schweizeri­n zu beherberge­n. «Ein Nachbar hatte gehört, wie ich am Telefon Englisch sprach, und gesagt, es sei ja allgemein bekannt, dass ausländisc­he CIA-Agenten hinter den Unruhen ständen.

Als Weisse, die eben erst aus den USA eingereist war, stand ich plötzlich unter Generalver­dacht.» Es gelang ihr, den letzten Platz in einer Maschine nach Miami zu ergattern. Auf die Rückbank eines Taxis geduckt, bretterte Samira Marty am 21. April 2018 durch zerstörte und menschenle­ere Strassen zum Flughafen Managua. Am Steuer sass ein Sicherheit­smann mit geladener Waffe. Es seien die längsten 40 Minuten ihres Lebens gewesen – und eine Fahrt, die sie von einem Moment auf den anderen in Sicherheit gebracht habe.

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FACEBOOK Der Club erinnert viele Kolumbiane­r an den Drogenkrie­g.
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ZOS Forscherin Samira Marty.

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