Schweizerin musste aus Nicaragua fliehen
Ein Nachtclub, der dem Drogenboss Pablo Escobar gewidmet ist, treibt Kolumbianer in Paris zur Weissglut. Unter dramatischen Umständen floh eine Schweizerin aus Nicaragua. Ihr wurde nachgesagt, eine CIA-Agentin zu sein.
Unter einem PabloEscobarPorträt servieren Kellner in kugelsicheren Westen Cocktails mit den Namen berühmter Drogenbosse: Willkommen im Le Medellin, einem Nachtclub in Paris, der die kolumbianische Gemeinde in der französischen Hauptstadt empört, bei Szenegängern aber sehr beliebt ist. Von der Strasse aus weist ein rotes Neonschild mit der Aufschrift Chez Pablo den Weg. Durch eine Kühlschranktür geht es hinein. Der Eingangsbereich ist vom Boden bis zur Decke mit Spiegeln ausgekleidet. Escobar war der Kopf des MedellínKartells und wurde im Dezember 1993 bei einem Schusswechsel mit der Polizei getötet. Offiziellen Angaben zufolge starben von 1983 bis 1994 in Kolumbien durch die Gewalt der Drogen kartelle mehr als 46000 Menschen.
Vor allem in den sozialen Medien empören sich Kolumbianer über den Nachtclub: «In Paris ist eine Bar eröffnet worden, die das Verbrechen und die Drogenkultur verherrlicht, das ist ein Skandal», twitterte @LTR89. Barinhaber Andren Dimitris dementiert jegliche Verherrlichung Escobars. «Ob Sie es wollen oder nicht, wenn Sie an Medellín denken, denken Sie an Pablo», sagt der Geschäftsmann. «Aber es ist nicht das Hauptthema.» Ein Pseudograb für Escobar, auf dem Besucher eine Kerze anzünden konnten, entfernte er bereits, «weil es die kolumbianische Bevölkerung verletzte».
Eigentlich wollte die damals 28-jährige Zentralamerika-Spezialistin im Norden des Landes Konfliktforschung betreiben – und geriet dabei in die Proteste gegen die Regierung Ortega, die bis heute Menschenrechtsorganisationen zufolge mehr als 500 Menschen das Leben gekostet haben. «Ich wurde von Anfang an eingeschüchtert. Polizisten einer Spezialeinheit verfolgten mich und riefen mir Vergewaltigungsdrohungen zu. Alle hatten Angst, mit mir zu sprechen. Wer es trotzdem tat, wurde bedroht.» Um sich zu erholen, flog die Doktorandin zu ihrem Freund in die USA.
Spätabends am 17. April 2018 landete sie wieder in Managua und erlebte am nächsten Tag zusammen mit den Gastgebern ihres Airbnb mit, wie die ersten Rentner und Studenten gegen die Rentenreform von Präsident Ortega demonstrierten. Die Polizei war gnadenlos: «Alte Menschen mit blutenden Wunden am Kopf – das fuhr uns allen sehr ein.» Bald schoss die Polizei mit scharfer Munition auf die Protestierenden. «Die ganze Nacht hörten wir Schüsse von Maschinengewehren.»
Innert kurzer Zeit weiteten sich die Demonstrationen im Land aus, sodass die Schaffhauserin die Hauptstadt nicht mehr verlassen konnte. Doch auch ihren Gastgebern wurde es zu riskant, die Schweizerin zu beherbergen. «Ein Nachbar hatte gehört, wie ich am Telefon Englisch sprach, und gesagt, es sei ja allgemein bekannt, dass ausländische CIA-Agenten hinter den Unruhen ständen.
Als Weisse, die eben erst aus den USA eingereist war, stand ich plötzlich unter Generalverdacht.» Es gelang ihr, den letzten Platz in einer Maschine nach Miami zu ergattern. Auf die Rückbank eines Taxis geduckt, bretterte Samira Marty am 21. April 2018 durch zerstörte und menschenleere Strassen zum Flughafen Managua. Am Steuer sass ein Sicherheitsmann mit geladener Waffe. Es seien die längsten 40 Minuten ihres Lebens gewesen – und eine Fahrt, die sie von einem Moment auf den anderen in Sicherheit gebracht habe.