Das Wunder von Matera
Einst galt die süditalienische Stadt als «nationale Schande», 2019 ist Matera Europäische Kulturhauptstadt.
Im Labyrinth aus engen Gassen, steilen Treppen und den farblosen Häusern verliert man sich schnell, alles ist Ton in Ton. Den einzigen Kontrast bildet das Blau des Himmels, das die Felsenstadt wie ein Gemälde erscheinen lässt. Touristengruppen schlendern umher, wie durch ein Museum, bleiben alle paar Meter stehen, bewundern, machen Fotos.
Sie alle haben von der aussergewöhnlichen Geschichte der Stadt gehört, die bereits zur Jungsteinzeit besiedelt war – und von den Sassi. «Sassi» bedeutet «Steine» und bezeichnet die Felsenhöhlen, die das Bild der Stadt prägen. Im Lauf der wechselvollen Ge
schichte Materas nutzten die Menschen die Grotten immer wieder als Behausung – zuletzt in den 1950erJahren.
Von Adel und Kirche unterdrückt, blieb der armen Bevölkerung damals keine andere Wahl, als in den Höhlen zu wohnen. Ohne Elektrizität, fliessend Wasser, Tageslicht oder frische Luft, auf engstem Raum mit ihren Nutztieren. Die unhygienischen Verhältnisse führten dazu, dass sich Krankheiten schnell ausbreiten konnten, die Kindersterblichkeit war hoch. Die italienische Regierung nannte Matera «la vergogna nazionale», die «nationale Schande», und ordnete 1951 die Umsiedlung der Sassi
Bewohner an. 15 000 Menschen mussten in den folgenden zehn Jahren in Neubauwohnungen an den Stadtrand umziehen.
Danach waren die Sassi lange Zeit verlassen, eine Geisterstadt, und man erwägte sogar, sie abzureissen. Ende der 80erJahre fand ein Umdenken statt, die Denkmalpflege schaltete sich ein, und 1993 erklärte die Unesco die Sassi von Matera zum Weltkulturerbe. Es war jedoch die Auszeichnung im Oktober 2014, die den Hype auslöste: Matera wurde zur Europäischen Kulturhauptstadt 2019 ernannt. Vor 20 Jahren gab es kaum
touristische Infra