«Lockdown-Raser wollen Spannungen abbauen»
ZÜRICH. Die Meldungen über Raser häufen sich gerade – ein Experte erklärt.
Herr Graber, es scheint, dass jetzt besonders viele aufs Gas drücken.
Ich kann nicht ausschliessen, dass die Fälle einfach auffälliger sind. Wenn jetzt jemand in der Stadt aus Angeberei stark beschleunigt und den Motor aufheulen lässt, dann fällt er stärker auf. Zurzeit gibt es weniger Verkehr und weniger Lärm. Raser sind jetzt wahrscheinlich durch die Polizei auch leichter ausfindig zu machen. Zugleich ist es vermutlich schon so, dass diejenigen, die es brauchen, mit ihrem Auto aufzufallen, es nun besonders geniessen. Sie sind jetzt noch sichtbarer als vorher.
Die leeren Strassen sind also eine Einladung?
Sie können dazu animieren. Es ist niemand im Weg, und die Atmosphäre aufgrund der Krise vermittelt den Eindruck, dass nicht dieselben Regeln gelten würden wie sonst. Und es gibt Leute, die jetzt mehr Zeit haben – Zeit, sich auf der Strasse auszuleben.
Ist die Schnellfahrerei ein Ventil, um dem Lockdown zu entfliehen?
Ja. Jetzt haben viele mehr Sorgen, etwa existenzielle Ängste oder finanzielle Sorgen. Diejenigen, die sich sonst viel mit Autos beschäftigen, fahren als Ausgleich dazu eben häufiger unnötig herum, weil sie Freude an der Geschwindigkeit haben oder weil sie Spannungen abbauen wollen.
Sind das alles klassische Raser?
Leute, die als Raser erwischt werden, sind in der Regel eher solche, die das nicht zum ersten Mal gemacht haben. Oft sind sie schon aus ähnlichen Gründen vorbelastet. Bei den Betroffenen erfüllt das Autofahren elementare Bedürfnisse, etwa jenes nach Spannung. Es hat auch eine Funktion zur Erhaltung des Selbstwertes, weil sie sich als gute Fahrer oder als Personen, die sich ein teures Auto leisten können, darstellen.
Normalbürger rasen also nicht aus Frust über den Lockdown?
Dass man als Person, die vorher nie Probleme mit Geschwindigkeit hatte, plötzlich zum Raser wird, ist unwahrscheinlich. Am ehesten passiert es aus Unachtsamkeit.