Darum sind Beamte mit der Krise überfordert
BERN. Die Kantone verschleppen erneut die Impfstrategie. Warum sind unsere Beamten mit der Krise überfordert?
ZÜRICH. Nach Kritik hat das BAG seine Impfstrategie angepasst: Zweitimpfungen müssen nicht zurückbehalten werden. Doch die Kantone können oder wollen das nicht nutzen. «Verwaltungen sind eben grundsätzlich nicht für Krisensituationen ausgelegt», sagt Ex-Krisenmanager Hans Klaus. Experten monieren: In anderen Ländern habe man auch privates Know-how hinzugezogen.
Das BAG hat kürzlich die Impfstrategie angepasst. Auf einen Schlag wurden Zehntausende Impfdosen in den Kantonen frei, weil diese keine Dosen mehr für Zweitimpfungen zur Seite legen müssen. Eine Umfrage von 20 Minuten zeigt: Die Kantone sind nicht in der Lage, die Dosen bis Montag zu verimpfen. Vielerorts werden nicht einmal die Öffnungszeiten der Impfzentren angepasst – obwohl das BAG die nächsten Lieferungen bereits diese und Anfang nächste Woche erwartet.
Für die renommierte Krisenmanagerin Beatrice Tschanz ist klar: «Die Krisenbewältigung krankt in der Schweiz am Behördentum.» Die Kantone seien in dieser Krise gefangen in ihrem eigenen System. «Mit dem Impfen geht es nicht vorwärts, weil sie sich bei allem auf Gesetze und Reglemente abstützen müssen.» Die Privatwirtschaft könne sich ein so schwerfälliges Verhalten schon lange nicht mehr leisten. «Amt und Flexibilität sind schwere Gegensätze.»
Hans Klaus war Leiter der Krisenkommunikation bei der Swiss und hat als Informationschef des EJPD und Experte für Krisenmanagement auch viel Erfahrung in der Verwaltung gesammelt. «Verwaltungen sind grundsätzlich nicht für Krisensituationen ausgelegt. Eine Krise zu managen und gleichzeitig die Verwaltungstätigkeiten zu bewältigen, überfordert diese Organisationen oft», sagt er. «In einer Krise zählen Geschwindigkeit und Flexibilität. Verwaltungen sind jedoch auf Vollständigkeit und Genauigkeit ausgerichtet.» Auch der Föderalismus sei ein zentrales Problem: «In der Krise sind zentralistische, einheitliche Entscheide gefragt und ein Manager, der diese trifft.» In der Schweiz gebe es 26 verschiedene Impfstrategien, parteipolitisches Geplänkel und unzählige Interessengruppen, die jeden Entscheid mit beeinflussen: «Auch dadurch wird es extrem erschwert, schnell und flexibel reagieren
zu können.»
Jürg Müller, Forschungsleiter Infrastruktur und Märkte bei Avenir Suisse, sagt, Staat und Wirtschaft hätten sich entfremdet. «Das Milizsystem ist nicht mehr so bedeutend. Wirtschaftsführer haben seltener Nebenämter in Verwaltungen oder Behörden. Dadurch fehlen direkte Beziehungen, die Kooperationen zwischen Staat und Wirtschaft schnell und unkompliziert machten.»