Kantone wollen trotz Impftrödelei weiter öffnen
BERN. Schon jetzt fordern Kantone vom Bundesrat weitere Lockerungsschritte. Wissenschaftler finden das fahrlässig.
BERN. Ab heute sind die Restaurantterrassen wieder offen. Jetzt fordert Christian Rathgeb, Präsident der Kantonsregierungen, dass der Bund schnell weitere Öffnungsschritte in Aussicht stellt. Zur Debatte steht etwa das Ende der HomeofficePflicht. Dass die Kantone auf Öffnungen drängen, obwohl sie teils beim Impfen im Rückstand sind, hält ein Infektiologe für riskant.
«Der Bund soll aufzeigen, in welchen Schritten und unter welchen Voraussetzungen wir unser Alltagsleben normalisieren können», sagt Lukas Engelberger, Präsident der kantonalen Gesundheitsdirektoren (GDK). Es sei wichtig, nun in grösseren Etappen zu denken. Und Christian Rathgeb, Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen, fordert: «Der Bund muss rasch weitere Öffnungsschritte in Aussicht stellen.»
Gleichzeitig ist bereits jetzt absehbar, dass nicht alle Kantone das Impfziel erreichen werden. Gesundheitsminister Alain Berset versprach, dass bis Ende Juni alle Impfwilligen die erste Dosis erhalten würden. Einige Kantone, etwa Bern oder das Impfschlusslicht Zürich, dürften das Ziel des Bundes nach eigenen Angaben verfehlen. Auch der Kanton Luzern rechnet erst «im Spätsommer oder Frühherbst» mit dem Abschluss der Impfungen.
460000 Impfdosen warten derzeit darauf, verimpft zu werden. Dass die Kantone beim Impfen im Verzug sind, beim Öffnen aber Vollgas geben wollen, kritisiert der Infektiologe Andreas Widmer heftig: «Das ist, wie wenn man mit verbundenen Augen bei Rot über die Kreuzung fährt.» Weitere Lockerungen seien zum jetzigen Zeitpunkt «ein Spiel mit dem Feuer», so der Präsident von Swissnoso, dem Nationalen Zentrum für Infektionsprävention. «Wenn jetzt die Zahlen wieder hochschnellen, landen die 50- bis 70-Jährigen auf der Intensivstation, nicht mehr die über 80-Jährigen», warnt Widmer. Die Kantone stünden unter Druck und «wollen die unangenehme Entscheidung dem Bundesrat zuschieben».
Lukas Engelberger wehrt sich gegen die «unbegründeten» Vorwürfe: «Die Kantone trödeln nicht, und wir machen auch nicht einseitig Druck für Öffnungen, sondern wünschen uns eine breite Diskussion über die längerfristige Strategie zur Überwindung der Krise.» Das erwarte auch die Bevölkerung von der Politik, so Engelberger.