Alex Wilsons Fabelzeit wirft Fragen auf
ATLANTA. Alex Wilson der schnellste Sprinter aus Europa aller Zeiten? Kaum einer mag das glauben.
9,84 Sekunden! Der Schweizer Sprinter Alex Wilson lief bei einem Meeting in Atlanta so schnell wie noch nie ein Europäer zuvor. Und auch über 200 Meter (19,89 Sekunden) verbesserte Wilson am Sonntagabend seinen eigenen Schweizer Rekord deutlich. So gross die Freude über den Megaexploit so kurz vor dem Saisonhighlight in Tokio ist, so gross sind auch die Fragezeichen dahinter. Wilsons Saison lief bislang sehr durchzogen: Er hatte mit Rückenproblemen zu kämpfen und musste eine Pause einlegen. Wilson musste gar um seine Olympiateilnahme über 100 Meter zittern. 10,38 Sekunden lautete seine bisherige Saisonbestzeit.
Bei seinem Rekordlauf in Marietta nahe Atlanta hatte der Sprinter sicher optimale Bedingungen: rund 30 Grad, dazu optimale Rückenwindverhältnisse mit 1,9 Metern pro Sekunde (2,0 m/s sind erlaubt). Alle anderen Faktoren sprechen dagegen gar nicht für eine Rekordzeit. In Frankreich beäugt man den neuen Europarekord, den Wilson dem Franzosen Jimmy Vicaut und dem Portugiesen Francis Obikwelu (9,86) entrissen hat, besonders kritisch. Die Sportzeitung «L’Équipe» stellt in Anbetracht seiner bisherigen Saisonleistungen Wilsons Rekord infrage. Offenbar kursiere auf Social Media die Theorie, dass der Schweizer einen Frühstart hingelegt haben soll. Ein Startkontrollsystem habe es beim Meeting aufgrund der kleinen Grösse nicht gegeben.
Kritik gibts auch von Trainerguru Rana Reider, der neben Leichtathletikgrössen wie Christian Taylor und Dafne Schippers auch schon kurzzeitig Mujinga Kambundji gecoacht hat. «Wir wissen zu 100 Prozent, dass das nicht echt ist», schrieb er auf Twitter. Und selbst in Wilsons Team ist man von der Zeit überrascht. «Direkt nach dem Rennen dachte Alex, dass er bestenfalls 10,00 gelaufen sei, aber niemals so schnell, wie es auf der Anzeigetafel im Stadion und in den Ranglisten zu lesen war», so Berater und Freund Andreas Hediger gestern. Auch Wilson soll nachgefragt haben, ob die Zeit wirklich stimme. «Ich habe es nicht geglaubt. Ich glaube es jetzt noch nicht. Ich sah die Zeit beim Einlaufen nicht und fragte dann meinen Coach», so Wilson gestern zu Tagesanzeiger.ch. «Ich bin immer noch geschockt!»