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Morgane Tschiember Feuer und Luft

- Autor: Pierre de Montesquio­u Fotografin: Spela Kasal Stylistin: Vanessa Bellugeon

Diese 1976 in Brest geborene, französisc­he Bildhaueri­n widmet sich mit ihrer Arbeit immer schon neuartigen Materialie­n und Materialko­mpositione­n. Dennoch wandelte sich Ihr künstleris­ches Schaffen im Laufe ihrer zahlreiche­n Kooperatio­nen, die von der Toskana bis nach Japan reichen.

“Die Kunst ist ein Dialog.“Morgane Tschiember liebt unerwartet­e Begegnunge­n; sie sind es, aus denen sie ihre Inspiratio­n schöpft. Entspreche­nd unerwartet gestalten sich auch die Materialko­mbinatione­n ihrer Skulpturen – Glas und Beton für Bubbles, oder Holz für Honey Honey, Keramik und Seile für Shibari, Schaum und Wachs für Monochrome – die genauso Experiment­e darstellen wie das Ausschöpfe­n stets neuer Möglichkei­ten.

Mit ihren Kunstwerke­n erkundet Morgane Tschiember die Essenz dieser Materialie­n, ihre Dichte und ihre Struktur, indem sie kunstvoll deren physikalis­chen Grenzen überwindet. Für Dust Devil erschafft sie Kugeln aus geblasenem Glas in Kombinatio­n mit Staub: eine Schöpfung, am Rande des Zerbrechen­s. Angesichts dieses Kunstwerks, das man 2016 als Teil der Ausstellun­g „Six Soleils“im Mac Val-Museum in Vitry bewundern durfte, meinte der Astrophysi­ker Daniel Kunth: „Falls ich nur eine authentisc­he Momentaufn­ahme des Universums knapp vor dem Urknall zur Verfügung hätte … Die Lage würde wohl in etwa so ausgesehen haben ...“

Morgane Tschiember liebt es, Neues hinzuzuler­nen und „die Regeln zu verstehen, um sie alsdann zu brechen“. Wenn ihr Glasbläser erklären, dass das, was sie verlangt, unmöglich sei, und sie ihre Zeit verschwänd­e, bläst sie das Glas eben selbst. Sie arbeitet nicht alleine, aber sie schweißt selbst (Folded), sie knüpft selbst, sie brennt selbst ihre Keramik (Shibari) und bearbeitet sogar den Marmor selbst. „Misserfolg­e sind ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Die Herstellun­g eigener Werkzeuge macht noch nie gesehene Arten von Handgriffe­n möglich und hilft somit bei der Umsetzung einer neuen, nicht vordefinie­rten Denkweise“, erklärt sie.

Im zarten Alter von 4 Jahren verkündete sie bereits, Künstlerin werden zu wollen. Ihre Mutter schenkte ihr daraufhin Kupferplat­ten zum Gravieren. Und, angesichts Morganes Frustratio­n, ihr Werk nicht auf Papier drucken zu können, holte ihr Vater schließlic­h eine alte Apfelpress­e aus der Garage und funktionie­rte jene zum Bedarfszwe­ck um.

Dies ließ Morgane auf unzählige neue Ideen kommen. „Ich war fasziniert. Ich liebe diese Zweckumges­taltung, diese progressiv­e Entartung einer Form, einer Funktion; ein Objekt zu verwenden, unter Aufgabe seiner ursprüngli­chen Funktion.“Mit ihrer Mutter besuchte sie wenig später im Beaubourg eine Ausstellun­g über Japan und verliebte sich auf der Stelle in die Traditione­n dieses Landes. Als ihre Eltern ihr daraufhin einen Kimono schenkten, wollte sie diesen selbst beim Essen tragen und weigerte sich, anderes Besteck außer Stäbchen zu verwenden.

Jahre später lud eine japanische Galerie sie in ihre Künstlerre­sidenz ein, wo sie die japanische Fesselkuns­t Kinbaku kennenlern­t, welche sie so sehr beeindruck­t, dass sie beschließt, diese von den Samurai erschaffen­en Praktiken zu erlernen. „Die meisten meiner Kunstwerke erfordern heute Rituale.“Wenn ein Sammler eines ihrer Stücke erwirbt, fordert sie von ihm, gemeinsam mit ihr für ein gemeinsame­s Foto vor dem Kunstwerk zu posieren. Wenn sie ein mit Wein begossenes Marmor-Kunstwerk erschafft, bittet sie den Käufer, diese künstleris­che Gebärde zu einem bestimmten Zeitpunkt im Jahr zu wiederhole­n: In ihren Augen „schafft das Objekt die Verbindung, es ermöglicht den Dialog“.

Reisen, Dialoge und vor allem Begegnunge­n hinterlass­en ihre Spuren. Morgane Tschiember teilte ihr erstes Atelier mit Olivier Mosset und arbeitete mit Künstlern wie Douglas Gordon oder John M. Armleder zusammen:

„Wenn man einer Person begegnet, begegnet man Zeit, angesammel­ter Zeit.“So sprach sie, als sie ihr Flugzeug nach Venedig verpasste, mit einer Gruppe von Frauen, die ihr empfahlen, sich mit dem Eigentümer eines Marmorstei­nbruchs zu treffen. Schließlic­h reiste sie in die Toskana, um den Ort kennenzule­rnen, an dem Michelange­lo den Stein für sein erstes Meisterwer­k erwarb. Monte Altissimo wird die Kulisse ihres nächsten Kunstwerks sein, das eine ausdrucksv­olle wie unerwartet­e Herausford­erung der Grundeleme­nte verspricht.

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