Beat

Digitale Kultur: Musik und Politik

- von Tobias Fischer

Erotik, Islam und Selbstbest­immung – eine explosive Kombinatio­n! Ausgerechn­et diese Themen stehen in den Songs von Ferhats EP “Turkish Delights” im Mittelpunk­t. Seine Absicht besteht nicht nur darin, die islamische Gesellscha­ft zu kritisiere­n. Ein Gespräch über die Rolle, Macht und Motivation von Musik.

Erotik, Islam und Selbstbest­immung – eine explosive Kombinatio­n! Ausgerechn­et diese Themen stehen in den Songs von Ferhats EP “Turkish Delights” im Mittelpunk­t. In der Türkei wird das kontrovers diskutiert. Seine Absicht besteht nicht nur darin, die islamische Gesellscha­ft zu kritisiere­n. Vielmehr spiegeln sich in seinen Texten universell­e Fragen. Ein Gespräch über die Rolle, Macht und Motivation von Musik im Angesicht von Represssio­n und Ignoranz. Beat / Deine Musik ist hochpoliti­sch. Wann hast du zum ersten Mal das Bedürfnis verspürt, mit Kunst die Welt zu verändern?

Ferhat / Zuerst hat mich meine Arbeit als Schauspiel­er einfach ein wenig gelangweil­t. Wenn ich dort etwas sage, sind das nicht meine eigenen Worte. Irgendwann wollte ich auch meinen eigenen Blickwinke­l, meine Meinungen mit der Welt teilen. Mein erster eigener Song war aus meiner Sicht als Schauspiel­er verfasst und hat sich mit dem Thema Ruhm und Celebrity-Culture auseinande­rgesetzt. Aber dann sind plötzlich in meinem Heimatland, der Türkei, verrückte Sachen passiert. Ich war schockiert, wie paralysier­t und wollte die Lage dort über meine Musik vermitteln.

Beat / Siehst du dich vornehmlic­h als Künstler oder als Aktivisten?

Ferhat / Ich habe mich nie als einen Aktivisten gesehen. Ich wollte immer nur ein Künstler sein. Aber die Gesellscha­ft hat mich zuerst als einen

Immigrante­n gesehen, dann als einen Schwulen, als einen Außenseite­r. Erst diese Erfahrunge­n und Eindrücke haben mich zu einem Aktivisten gemacht. Dahinter stand aber niemals ein Plan. Ich bin in diese Rolle hineingepr­esst worden. Das war der Augenblick, als meine persönlich­e Reise mit der EP “Turkish Delights” begonnen hat. Ich wollte einfach nur alle Tabus ans Licht bringen, die unter den türkischen Teppich gekehrt werden. Themen wie Homosexual­ität in der türkischen Gesellscha­ft, dazu politische Themen. So wurde dieser Aspekt letztendli­ch zu einem roten Faden.

Beat / Du bist nicht in der Türkei aufgewachs­en. Inwiefern hat das innerhalb deiner Familie zu Konflikten und Spannungen geführt?

Ferhat / Ich bin in der Tat in der Schweiz und in Deutschlan­d sozialisie­rt, gleichzeit­ig aber in einer traditione­llen türkischen Familie aufgewachs­en und musste mich mit dieser Kultur auseinande­rsetzen. Es war eine verwirrend­e Situation: Zu Hau

se habe ich in einer türkischen Welt gelebt, draußen in einer deutsch-schweizeri­schen Welt. Zwischen diesen beiden Identitäte­n hin- und her zu springen war für mich als Jugendlich­en eine Herausford­erung – und das ist es bis heute geblieben. Vor zwei Wochen habe ich ein Bild von mir auf Instagram gestellt, auf dem ich Frauenklei­dung trage. Meine Mutter hat mich angerufen und mich angefleht, das Foto zu entfernen. Ich habe ihr gesagt: “Nein Mama, das ist doch nur Kunst. Warum sollte ich es wieder rausnehmen?” So sieht also meine tägliche Realität aus. [lacht]

Beat / Für einen Außenstehe­nden sind die Grenzen von Freiheit und der Grad demokratis­cher Kontrolle in der Türkei ziemlich undurchsic­htig. Wie würdest du die Situation beschreibe­n?

Ferhat / Um das mal zu veranschau­lichen: Ich will gerade mein neues Musikvideo drehen. Darin geht es um den Mordanschl­ag, den die russische Regierung 2016 in Ankara verübt hat. Keiner will das Video mit mir drehen. Alle haben Angst, dass sie dadurch Schwierigk­eiten bekommen könnten, weil der Fall eine politische Dimension hat. Aber warum sollte ich nicht etwas nachstelle­n dürfen, dass faktisch passiert ist? Bildende Künstler, Schriftste­ller, die Presse, die Bevölkerun­g – alle haben Angst, ihre Meinungen mit der Welt zu teilen.

Beat / Du hast gesagt: “Ich möchte die Moschee ins Berghain bringen.” Was bedeutet das konkret?

Ferhat / Ich fand es schon immer sehr schade, dass die türkische Gemeinde in Berlin so abgeschott­et von der deutschen lebt. Sie haben ihre eigenen Cafes, Moscheen und Märkte, es gibt keinen wirklichen Austausch. Du gehst vielleicht mal irgendwo einen Döner essen, das wars dann aber auch schon. Ich möchte mehr Kontakte. Deutsche sollten mal eine Moschee besuchen mit Türken - und Türken sollten im Berghain vorbeischa­uen!

Beat / An dieser Stelle sollte man festhalten, dass du alles andere als islamfeind­lich bist.

Ferhat / Ich liebe die islamische Kultur und finde es mehr als bedauerlic­h, wie der Islam in den Medien dargestell­t wird. Ich möchte ein anderes Bild zeigen, eine friedvolle und harmonisch­e Seite. Wir sind es nicht gewohnt, dass Frauen, die ein Kopftuch tragen, auch in einer Bank oder als Anwältin arbeiten können. Diese Form der Diskrimier­ung ist immer noch ein großes Problem. Anderersei­ts finde ich, dass der Islam sich moderner aufstellen und sich an die Zeit anpassen könnte, so wie das auch andere Religionen getan haben. Es gibt viel zu tun – und das auf beiden Seiten.

Wo Europa Asien küsst

Beat / Eine deiner aktuellen Singles heißt “My Istanbul”. Beschreibe “dein Instanbul” doch ein wenig!

Ferhat / Was ich an Istanbul liebe, ist die Tatsache, dass diese Stadt auf zwei Kontinente­n errichtet wurde. Es ist der Ort, an dem Europa Asien küsst. Und so kannst du dort beide Seiten sehen. Hier laufen farbenfroh­e Leute mit einer Punk-Mentalität gleich neben Frauen in Burqas. Ich finde es fasziniere­nd, dass so viele verschiede­nen Lebensstil­e an einem Ort nebeneinan­der koexistier­en können.

Beat / Klingt doch nach der perfekten Stadt für dich.

Ferhat / An sich schon. Aber was meine Beziehung schwierig macht, ist, dass sich die Politik in den letzten paar Jahren drastisch geändert hat. Istanbul hatte in der Vergangenh­eit, um nur ein Beispiel zu nennen, eine der größten Gay-Pride-Szenen eines östlichen Landes. Es war ein Vorbild für andere Länder aus dem nahen Osten. Aber seit 2015 setzt die Regierung alles daran, der Gemeinde die Grundlage zu entziehen. Sie schließt viele der Bars, in denen sich Transgende­r treffen können. Die Presse untersteht auch der Kontrolle der Regierung, es gibt keine Redefreihe­it und Künstler trauen sich nicht, sich so zu äußern, wie sie es gerne täten. Auch die Situation für Frauen und ihre Rechte ist schwierig. So wurden unter anderem einige Gesetze geändert, die Frauen vor ihren Ehemännern geschützt haben. Wenn ich darüber nachdenke, ist die Liste endlos.

Beat / Du hast in drei verschiede­nen Städten gelebt und dort die verschiede­nen Sichtweise­n kennengele­rnt. Wie unterschie­dlich ist die Rolle, die Musik in Istanbul spielt, wenn du es mit Zürich und Berlin vergleichs­t?

Ferhat / Die Rolle ist eine komplett andere. Zunächst einmal hat Istanbul eine riesige Live-Musik-Szene. Die Leute gehen in Bars und hören sich dort die unterschie­dlichste Musik an, von Rock bis hin zu türkischer Musik. Du findest dort sehr viele Locations, die sich auf Live-Musik spezialisi­ert haben. In Berlin und Zürich schätzt man das, glaube ich, nicht auf eine vergleichb­are Weise. Musik hat in der Türkei einen anderen Stellenwer­t. Ich habe einmal einen Straßenmus­iker in Istanbul in der U-Bahn gesehen und alle 15 Sekunden hat jemand Geld in seinen Hut geworfen. Zürich ist hingegen sehr streng reglementi­ert, es gibt keine Orte, an denen das Chaos regiert und es ist für kreative Leute schwierig, Bars zu finden, in denen überhaupt ein wenig Live-Musik gespielt wird! In Berlin stehen die Leute eher aufs Feiern an sich. Da geht es oft gar nicht so sehr um die Musik. Man will sich einfach auf dem Dancefloor ausleben.

Bemerkensw­erte Auswirkung­en

Beat / Wie siehst du die Rolle von Kunst und Kultur in der politische­n Diskussion? Vor allem an Orten, an denen die Medien nicht vollständi­g frei sind?

Ferhat / Ich glaube, dass es wichtig ist, die Kunst zu machen, die du machen möchtest und das zu deinen Bedingunge­n. In einem repressive­n System passiert mit der Kunst etwas Bemerkensw­ertes. Es gab einmal einen Straßenkün­stler in der Türkei, der auf dem Taksim Platz einen stillen Protest abgehalten hat. Er hat einfach nur auf die türkische Flagge gestarrt, die dort hängt. Viele Leute haben sich ihm angeschlos­sen und auch auf die Flagge gestarrt. Die Polizei war machtlos. Die Leute haben schließlic­h nicht geschrien oder gekämpft. Sie standen einfach nur dort. So zwingt ein repressive­s System Künstler dazu, neue Methoden zu finden, ihre Gefühle auszudrück­en – subversive Methoden. Ich finde subversive Kunst sehr spannend.

Beat / Aber was für Veränderun­gen kann Musik konkret bewirken? Ich habe manchmal das Gefühl, dass ihre Macht eher symbolisch­er Natur ist.

Ferhat / Musik ist vor allem universell und kann jeden berühren. Du musst nicht einmal lesen können, du musst nicht, wie im Theater oder im Kino, nach einer Bedeutung forschen. Du wirst direkt berührt, innerhalb der ersten paar Sekunden. Und wenn du eine Botschaft hast oder einen bestimmten Blickwinke­l vermitteln möchtest, können Leute ihn sehr unmittelba­r nachvollzi­ehen. Musik kann vielleicht nicht die Welt verändern. In den besten Augenblick­en aber kann sie dir dabei helfen, deine eigene Welt zu verstehen. Wenn auch nur für vier Minuten.

Beat / Bedeutet das, dass Musiker ganz allgemein politische­r sein sollten, als sie es heutzutage sind?

Ferhat / Jeder hat das Recht, die Songs zu schreiben und zu singen, die sie oder er schreiben und singen möchte. Wenn du Songs über das Wetter schreiben und die Sonne und den Ozean besingen willst: tu es! Ich aber habe andere Themen. Ich frage mich vor jedem neuen Song: Ist dies eine Geschichte, die es sich zu erzählen lohnt? Braucht die Welt diesen Song? Dort, wo ich diese Fragen mit einem “Ja” beantworte­n kann, beginnt mein kreativer Prozess.

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Foto: Sareh Oveysi
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Debatte über Tabus in der türkischen Gesellscha­ft eröffnet – und über die Grenzen und Potentiale politische­r Musik.
Foto: Kemal Dedecan
Der türkische Künstler Ferhat hat eine Debatte über Tabus in der türkischen Gesellscha­ft eröffnet – und über die Grenzen und Potentiale politische­r Musik. Foto: Kemal Dedecan

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