Auf Schatzsuche in Ipoh, Malaysia
Einst war Ipoh das Zinnkapitol Malaysias. Heute findet man in der Stadt der Millionäre, wie sie auch gern genannt wird, vor allem kulinarisch wertvolle Schätze. Michael Raffael hat sich auf Entdeckungsreise begeben ...
Malaysias Nord-Süd-Autobahn windet sich im Westen des Landes durch das Zentrum der Halbinsel. Drei Stunden außerhalb von Kuala Lumpur verändert sich die Landschaft, Karstberge durchbrechen den Dschungel, und im dichten Grün verstecken sich geheimnisvolle Höhlen, in denen man auf heiße Quellen und taoistische Tempel trifft. Das Königreich Malaysia ist wahrlich reich an verborgenen Schätzen. Ein besonderes Juwel befindet sich an den Ausläufern der Cameron Highlands: Ipoh, die viertgrößte Stadt des Landes. Die Hauptstadt des Bundesstaates Perak ist als Stadt der Millionäre berühmt geworden, und obwohl der Glanz, den sie vor knapp 100 Jahren noch besaß, mittlerweile weitgehend verblasst ist, gibt es noch einige Schätze zu entdecken.
Der Kinta-Fluss spaltet Ipoh in zwei Hälften: die Alt- und die Neustadt. Ihre Hochzeit erlebte die Metropole Anfang des 20. Jahrhunderts, als in der Region noch Unmengen an Zinn abgebaut wurden und manch einer ein Vermögen daran verdiente. Heute erinnern nur der Bahnhof, der als Symbol für imperialen Reichtum gebaut wurde, und einige öffentliche Gebäude an den Wohlstand vergangener Zeiten. Die alten Zinngruben sind längst mit Wasser vollgelaufen und bilden inzwischen grüne Erholungsoasen. Im Zentrum der Altstadt befindet sich die Concubine Lane, auch Yi Lai Hong genannt. Der Legende nach quartierten während des Booms reiche chinesische Minenarbeiter und britische Offiziere hier ihre Mätressen ein. In Wirklichkeit waren die leichten Damen aber nur eine Tarnung für Opium- und Spielhöhlen. Auch heute noch zieht es die Stadtbewohner in die Altstadt, um sich zu amüsieren, einen Drink zu sich zu nehmen oder gediegen Essen zu gehen. Die Han Chin Villa, der einstige Club der Hakka-Zinnminenarbeiter, ist heute ein Museum. Tafeln erinnern an eine Zeit, in der die Mitglieder hier bei einer Opiumpfeife entspannten, leicht bekleidete Tänzerinnen befummelten und ihren Tageslohn verzockten. Das im Kedai Kopi Kong Heng servierte Sar Hor Fun ist eine legendäre Köstlichkeit aus Hühnchen und Garnelen. Über dem Restaurant befindet sich ein Gästehaus, das von dem Architekten Ng Sek San entworfen wurde. Der Avantgarde-Bau besteht aus zwei gläsernen Zimmern und einem Dachpool, der von der Straße aus nicht einsehbar ist. Wirklich niemand, der unten vorbeischlendert, kann die Existenz dieses Refugiums auch nur erahnen. Und das ist nur eines von Ipohs vielen versteckten Schmuckstücken.
Wie ganz Malaysia ist auch Ipoh multikulturell geprägt. Viele Chinesen, Malaien und Inder leben hier. Der Palast des amtierenden Königs Dr. Nazrin Shah befindet sich in Kuala Kangsa, etwa 30 Autominuten außerhalb der Stadt. Malaysia ist eine der wenigen Wahlmonarchien weltweit, alle fünf Jahre wird der König neu gewählt. Doch trotz der royalen Nähe sind viele der einstigen Prachtbauten vernachlässigt worden. Ein anderes Erbe scheint den Einheimischen wesentlich wichtiger zu sein: das Essen. Der Ruf heimischer Speisen und Delikatessen steht ganz oben auf der Prioritätenliste. Straßenhändler dürfen ihre Waren zwar längst nicht mehr von ihrem Dreirad aus anbieten, dafür haben die findigen Straßenköche ihre Fertigkeiten in kleinen Imbissbuden und Marktständen verfeinert.
Sar Hor Fun, eine traditionelle Nudelsuppe, steht im M Boutique Hotel auf der Frühstückskarte. Die flachen Reisnudeln lassen sich wunderbar schlürfen und gleiten samtig in den Magen. Dazu serviert das Hotel einen verdammt guten Weißen Ipoh-Kaffee. Dabei handelt es sich um eine Art Cappuccino mit einer süß-schaumigen Haube. Das Weiß bezieht sich also nicht auf die Milch. Für den Kopi O, den typisch malaysischen Kaffee, werden die Bohnen mit Margarine oder Ghee und Zucker geröstet, damit sie schön dunkel werden. Für den Weißen Ipoh
„Trotz der royalen Nähe sind viele der einstigen Prachtbauten vernachlässigt worden. Ein anderes Erbe scheint den Einheimischen wesentlich wichtiger zu sein: das Essen“
hingegen werden die Bohnen ohne Zucker geröstet, so bleibt der Kaffee beim Brühen heller. Nam Heon ist einer von mehreren Kedai – so heißen die kleinen Läden, die allesamt von sich behaupten, das beliebte Heißgetränk erfunden zu haben. Draußen vor den Cafés in Jalan Bandar Timahr mieten Budenbesitzer Stellplätze, an denen sie ihr Char Kway Teow, ein pfannengerührtes Nudelgericht, Vanille-Tarts und frittierte Reiberüben verkaufen.
Die Menschen in Ipoh sind wählerische Esser. Wenn sie eine Schüssel Curry Mee bestellen, haben sie ganz genaue Vorstellungen davon, was sie haben möchten: eine heiße, scharfe, mit SambalPaste gewürzte Suppe mit Eiernudeln und einer Limettenscheibe. Darüber hinaus verfeinert jedes Restaurant die Suppe noch ganz nach seinen eigenen Vorstellungen: mal mit Tofu oder Schweinefleisch, mal mit knackigem Gemüse und manchmal auch mit frischer Minze. Wer mag, bekommt dazu ein extra Schälchen mit der aus Chilis und Shrimps bestehenden Sambal-Paste gereicht.
Was für Cavaillon die Melonen oder für das Alte Land die Äpfel sind, das sind für Ipoh die Sojasprossen. Durch das harte Wasser aus den Kalkbergen sind sie hier besonders knackig. Die Bohnen werden in einem Vorort der Stadt, in Buntong, angebaut. Während der sechstägigen Wachstumsperiode müssen die Keimlinge alle viereinhalb Stunden gewässert werden, nach der Ernte werden die Sprossen dann für 15 Sekunden blanchiert. Das Restaurant Onn Kee in Ipoh ist eine der begehrtesten Adressen für Ayam Tauge, Hühnchen mit Sojasprossen. Das Fleisch hat Bio-Qualität, die Tiere werden auf kleinen Bauernhöfen in umliegenden Dörfern aufgezogen, und die Kunden haben die Wahl zwischen Ameraucana oder Kampong. Das Geflügel wird in Brühe geköchelt, dann abgekühlt und noch einmal pochiert, damit der Geschmack der Kräuter und Gewürze richtig durchziehen kann.
Das Schild über dem Eingang zum Restaurant von Gerai Rahamath, einem Mamak, preist Nasi Kandar an – in der Stadt auch als „Opium-Reis“bekannt. Zur Mittagszeit stehen die Leute dafür Schlange. Der weiße Reis mit Hammelfleisch ist an sich nichts Besonderes, aber die Sauce, eine raffinierte Mischung aus vielen verschiedenen, würzigen Saucen, hat es wirklich in sich. Lassen Sie sich nicht abschrecken: Das Gericht sieht nicht besonders appetitlich aus, aber es schmeckt fantastisch und macht regelrecht süchtig. Eine Portion kostet etwa 1,20 Euro. Für das gleiche Geld bekommt man auch eine Limau-Tambun-Pomelo. Die XXL-Grapefruits werden in Tambun, einem Außenbezirk von Ipoh, angebaut. Die kanonenkugelgroßen Früchte sind gut ein Kilo schwer und haben auch symbolischen Wert: Taoisten platzieren sie zum Herbstfest oft neben dem Familienaltar, denn die Zitrusfrüchte sollen Reichtum bringen. Darüber hinaus werden die Pomelos natürlich für ihren Geschmack geschätzt.
Menglembu, ein Wohnort außerhalb der Stadt, liegt auf dem Weg nach Kuala Kangsar, wo der König residiert. Der regelmäßig stattfindende Bauernmarkt ist ein Gourmetfest, bei dem malaysische, indische und chinesische Esskulturen aufeinandertreffen. Es gibt nicht nur jede Menge frische Ware, sondern auch viele Essbuden, die mit denen in Ipoh locker mithalten können. Das Angebot ist groß: knusprige Schweinerippchen mit goldener Schwarte, gedämpfte Wan-Tan und handgemachte Reisnudelrollen namens Chee Cheong Fun. Luk-Luk sind kleine Leckereien aus Fleisch oder Gemüse am Spieß. Mit Glück bekommt man sogar einen gegrillten Burger. Dazu locken süße Snacks an jeder Ecke. Ein Typ mit einer L.A.-Lakers-Cappy bereitet hinter seinem Roller kleine Portionen Putumayam zu – Engelshaar, das er mit Pandan (Blätter einer Tropenpflanze), Jaggery (Rohrzucker) und geriebener Kokosnuss aromatisiert. Fantastisch!
Vor den Toren der Stadt residiert der König. Der Palast von Istana Iskandariah, der Sultan von Perak, ähnelt mit seinen goldenen Kuppeln dem Bahnhof von Ipoh. In unmittelbarer Nähe liegt das Istana Kenangan, das königliche Museum, das dem verstorbenen Vater des Sultans gewidmet ist und dessen Besitztümer ausstellt – vom Rolls-Royce bis zur Schweizer Armbanduhr. Die Königsfamilie war seit jeher fasziniert von den Traditionen des fernen Westens. Doch der europäische Einfluss konnte sich nicht auf die Ernährungsweise des Volkes ausdehnen.
„Die in den hiesigen
Küchen verwendeten Kräuter findet man im Dschungel: Geweihfarn, wilde Minze, süß duftende Beluntas und Sambung Nyawa, die Blätter der Götter“
Zaliah Ibrahim und Saidi Othman servieren in ihrem Restaurant Teratak Warisan Kampung ausschließlich Gerichte aus Perak. Die verwendeten Kräuter findet man im Dschungel: Geweihfarn, wilde Minze, süß duftenden Beluntas und Sambung Nyawa, die Blätter der Götter. Das Ulam Raja, der Salat des Königs, ist nicht nur ein Geschmackserlebnis, sondern auch gesund. „Zaliah kocht alles, wie schon ihre Mutter und ihre Großmutter es taten, nur dass sie das Essen nicht auf einem Bananenblatt serviert“, sagt Ehemann Saidi. „Die Speisen sind unser Erbe und wurden früher von allen im Dorf gegessen.“Das trifft auch auf die Gulai Lemak Siput zu, in Kokosmilch gekochte Schnecken. Wer edlere Küche schätzt, kann sich Udang Galah bestellen, eine hummergroße Süßwassergarnele in einer köstlichen Suppe aus Zitronengras und Ingwer.
Ikan Pekasam, fermentierter Fisch, ist ein typisch malaysisches Alltagsgericht. Im Supermarkt bekommt man es sogar in vakuumverpackten Beuteln. Dafür werden Süßwasserfische filetiert und mit trocken geröstetem Reis gepökelt, bis das Fleisch fermentiert. Anschließend wird der Fisch mit braunem Reis paniert und so lange gebraten, bis er schön knusprig ist. Das Ganze wird dann mit Limette und Chili gewürzt und zu gedämpftem Reis gereicht. Als passendes Getränk empfiehlt Saidi ein Glas Limau Asam Boi, ein Likör aus Limetten und getrockneten Pflaumen. Genauso gut kann man sich aber auch ein traditionelles Snow-Beer im Kafe Sun Yoon Wah in der Altstadt dazu gönnen. Der Name bezieht sich nicht auf die Biermarke, sondern auf die Art, wie der Hopfensaft serviert wird: Für ein Schneebier gießt der Kellner eiskaltes Bier in ein gefrorenes Glas. Die pure Erfrischung! Eine simple Idee, aber im subtropischen Klima Malaysias einfach Gold wert. Und wer genau hinschaut, kann in Ipoh noch viele weitere Schätze entdecken.
Michael Raffael und Mark Parren Taylor reisten mit Unterstützung von Tourism Malaysia malaysia.travel/de und Malaysia Airlines