Gelobte Speisen In Tel Aviv treffen kulinarische Traditionen auf innovative Kochtalente
„Die neue Generation von Köchen ist nicht nur bemüht, Köstlichkeiten zu servieren, sondern achtet auch auf auf ein einladendes Ambiente“
Die USA brüsten sich mit New York, Spanien hat Barcelona und in Israel präsentiert sich Tel Aviv als pulsierende Vorzeige-Metropole. Die zweitgrößte Stadt des Landes zieht Kosmopoliten geradezu magisch an und schmückt sich mit Weltoffenheit sowie innovativen Unternehmern. Daher verwundert es kaum, dass sich Tel Aviv auch kulinarisch offen für Neues zeigt, während man in anderen Teilen des Landes eher traditionelle Küche bevorzugt. Gourmets können in dieser City jedenfalls auf ganz neuartige Geschmäcker kommen.
Die „Weiße Stadt“am Meer, wie Tel Aviv aufgrund einer Ansammlung von rund 4000 Gebäuden im Bauhaus-Stil auch genannt wird, lebt nach ihren eigenen Regeln – das gilt vor allem für die Gastro-Szene. Hier treffen sonnenverwöhntes Gemüse und Obst, würzige Kräuter sowie edler Fisch auf alte Traditionen und Einflüsse aus dem gesamten Nahen Osten. Die Speisen werden von innovativen Küchenchefs liebevoll zubereitet, wobei diese neue Generation von Köchen nicht nur bemüht ist, Köstlichkeiten zu servieren, sondern auch auf ein einladendes Ambiente Wert legt.
Auf den Märkten wie Shuk Tzafon oder am Hafen entdecken Gourmet-Reisende selbstgemachte Speisen, welche die Vielfalt Israels widerspiegeln. Wie etwa im Manta-Ray-Restaurant, das seinen Platz direkt am Strand gefunden hat. Morgens wird hier ein typisches Mezze-Frühstück serviert, das mediterrane Aromen mit dem Geschmack des Nahen Ostens verbindet.
Auf dem Rothschild-Boulevard hat der Reisende die Qual der Wahl. Es gibt kleine Coffee-Shops, Eisläden, Sushi- und BurgerRestaurants. Die Straße repräsentiert den Charakter der Stadt: Die gewölbten Torbögen und Kuppeln des europäischen Mittelmeerraumes verschmelzen mit Bauhaus-Stil, Art déco und Kolonialstilfassaden zu einer lebendigen Kulisse. Jenseits der Hauptstraßen verstecken sich unzählige kulinarische Schätze. Früher oder später landet man in der Nähe des Strandes in Neve Tzedek, einem der ältesten Viertel der Stadt. Übersetzt bedeutet der Name etwa „Oase der Gerechtigkeit“, und tatsächlich ist der Künstlerbezirk eine bunte Insel in der Metropole: Galerien, Schmuck- und Modeläden, gemütliche Cafés und BoutiqueHotels reihen sich dicht aneinander, und mit Blumen
überwucherte Häuser säumen die schmalen Gassen. Eine andere Oase in der quirligen Metropole ist der restaurierte Bahnhof HaTachana. Der letzte Zug fuhr hier 1948 ab. Heute beherbergt das historische Gebäude Galerien und Restaurants, dazu finden regelmäßig Feste und Veranstaltungen statt. Nur ein paar Schritte weiter gelangt man in den alten Hafen von Jaffa, der bei Reisenden aus aller Welt extrem beliebt ist. Es ist ein geschichtsträchtiger Ort mit kopfsteingepflasterten Wegen, alten Gemäuern und guten Restaurants, wie Dr Shakshuka. Seit 1991 serviert hier Inhaber Bino Gabso traditionelle Shakshuka. Die Menschen stehen Schlange für das würzige Gericht aus Tomaten und Ei. „Mein Vater hat mir das Rezept beigebracht, als ich zehn Jahre alt war, und seitdem habe ich Shakshuka gekocht“, sagt Gabso, als er vor der dampfenden Brühe aus Tomaten, Gewürzen, Lammfleisch, Rind, Paprika und etwa einem Dutzend Eiern steht. Schließlich stellt er die riesige Pfanne vor uns ab und
drückt jedem ein Stück Brot in die Hand. Die Sauce schmeckt herrlich würzig, aber nicht zu scharf. Jeder Bissen ist ein Genuss. Gabsos Shakshuka ist heiß begehrt, rund 600 Portionen verkauft er am Tag. „Ich möchte, dass Shakshuka ein Teil der israelischen Sprache wird“, sagt Gabso. Eine Herausforderung, wenn man bedenkt, dass das Gericht aus Libyen stammt, genau wie Gabsos Familie. Aber der Libyer ist stolz auf sein Essen und beglückte damit sogar schon israelische Soldaten im Feld. Um in Tel Aviv als guter Gastgeber zu gelten, braucht es manchmal eben nicht mehr als ein einfaches Essen und ein freundliches Lächeln.
Küchenchef Haim Cohen legt dennoch besonders viel Wert darauf, dass seine Gäste im entspannten Ambiente dinieren. In seinem stylischen Restaurant Yaffo erzählt er uns, wie sehr er laute Musik im Hintergrund verabscheut und welchen Aufwand er betrieben hat, um in seinem Laden die ideale Akustik zu schaffen. Cohen ist überzeugt, dass Köche längst nicht mehr die wahren Stars der Gastro-Szene sind. „Es sind die Designer. Die Gäste fragen mich, wer mein Innenarchitekt ist. Ich bin nicht mehr nur Koch, ich bin Gastgeber. Und jeder Gast ist zugleich auch Fotograf und Restaurant-Kritiker.“Zwar gibt sich Cohen bescheiden, doch sein Ruf als Küchenchef ist legendär. Die Leute kommen wegen seines Essens. Schon 1985 war der Israeli seiner Zeit voraus, als er ein französisches Restaurant eröffnete. „Ich hatte überhaupt keine Ahnung von französischer Küche“, gesteht er. „Aber das war egal. Die Leute wussten ja auch nicht, was sie erwartet. Meine Gäste haben mein Essen gegessen, weil es gesund war und guttat. Man sprach nicht darüber, ob es schmeckte oder nicht. Essen zu gehen war damals ohnehin nicht populär. Womit sollte man das rechtfertigen? Etwa damit, dass die Mutter nicht kochen kann?“
Cohens Gerichte sind makellos und ohne viel Schnickschnack angerichtet. Sein Sashimi ist ein Ensemble aus frischem
Zackenbarsch auf israelischem Olivenöl mit Paprika und Tomaten. Das Carpaccio wird per Hand aufgeschnitten und von einem Hauch Aubergine, Salz, Olivenöl und Zwiebeln begleitet. Die Calamari werden auf einem Plancha-Grill gebraten und dann auf einem Limabohnenpüree serviert. Die Meeresfrüchte bekommt Cohen aus dem Mittelmeer, die übrigen Zutaten liefert der fruchtbare israelische Boden. Jeder Bissen ist ein Geschmackserlebnis. „Ich verwende ausschließlich frische Zutaten und nur wenige Kräuter. Ich benutze keine Pasten, kein Soja und keinen Zucker – ich verkaufe hier schließlich keine Drogen. Mein Essen ist nicht mit Zutaten überladen, und man muss es auch nicht mit der Pinzette essen.“
In der ganzen Stadt sind offene Küchen angesagt. Die Menschen essen genauso gern Schulter an Schulter an einer Bar wie an einem schön gedeckten Tisch. Geteilt wird immer, das gehört sich so. Seinen eigenen Teller zu haben, ist für viele überflüssig. Aber natürlich gibt es auch Ausnahmen: Manche Köche experimentieren mit Molekularküche, und hier und da begegnen dem GourmetReisenden zarte Schäumchen und Trockeneis.
Im Schatten der Großen Synagoge erwartet Tomer Agai, ein langjähriger Kochkollege von Cohen, seine Gäste im Santa Katarina. Mit seiner leichten mediterranen Küche hat er sich längst einen Namen gemacht. Sein Taboon, ein Lehmbackofen, glüht permanent und gibt seinen Gerichten den letzten Schliff. Das Krebsfleisch-Bruschetta sollte man unbedingt probieren. Oder die arabische Pizza mit Lammhackfleisch, Rucola, Pinienkernen, Joghurt und Spinat auf einem knusprigen Boden. Agai mixt verschiedene Aromen aber nicht etwa zu einem Einheitsbrei zusammen, nein, jede Zutat, jede Beilage steht für sich und ist doch eine starke Komponente im Gesamtgericht – genau wie jeder Fußballspieler seine Aufgabe im Team hat.
Israel ist stolz auf seine regionalen Produkte. Tomaten brauchen sich zum Beispiel vor der viel gelobten Konkurrenz aus Italien nicht zu verstecken. Doch nirgendwo sonst in Tel Aviv wird das Gemüse so zelebriert wie im Abraxas North. Die gehäuteten, zerquetschten Tomaten werden hier nur mit einer Prise Salz und Olivenöl angemacht. Sie schmecken wunderbar süß und fruchtig. Der Blumenkohl wird vor dem Servieren noch einmal kurz im Ofen angeröstet, sodass die weißen Röschen herrlich knusprig sind. „Natürlich könnte man sich fragen, warum man zehn Dollar für einen simplen Blumenkohl bezahlen soll“, sagt
Restaurant-Manager Adva. „Aber die Zubereitung braucht eben Zeit, und an manchen Gerichten verdienen wir gar nichts.“Dabei ist das Essen im Abraxas North wirklich jeden Cent wert. Was sich auf der Speisekarte gut anhört, schmeckt auch fantastisch. Einfache Zutaten wie grüne Bohnen erreichen eine neue kulinarische Ebene. Inhaber Eyal Shani gehört wie Cohen und Agai zu den treuen Anhängern bodenständiger Küche, in der nur ausgewählte Zutaten zum Einsatz kommen. „Wir benutzen keine Gewürze, nur Salz, Pfeffer und Olivenöl“, erklärt Küchenchef Tal Kawi. Wie so viele Köche in der Stadt hat er sich als Naturtalent erwiesen. Nur drei Jahre zuvor war er noch ein einfacher Küchenhelfer. „Ich konnte nicht einmal Gemüse richtig schneiden“, gibt er offen zu. „Aber man mag hier Köche, die noch unverbraucht und neugierig sind. Am besten ist es, wenn man keine festen Vorstellungen davon hat, wie die Speisen traditionell sein sollten.“
Diese frische, offene Art ist typisch israelisch – das ganze Land strotzt nur so vor neuen Ideen und innovativen Unternehmern. Einzig im kalifornischen Silicon Valley findet man mehr Start-Ups als hier. Die Israelis haben ein Händchen dafür entwickelt, sich erfolgreiche Unternehmen anzuschauen und dann einen Weg zu finden, wie man es noch besser machen kann. Diese Herangehensweise ist in der Gastro-Szene genauso wichtig wie in der HightechIndustrie. Milk & Honey etwa ist Israels erste Whisky-Brennerei. Bisher wird der beliebte Single Malt nur in ausgewählte Läden in Israel ausgeliefert. 31 Monate lang reifte das karamellfarbene Destillat in Eichenfässern in Tel Aviv. Ab 2019 soll der edle Tropfen auch international verkauft werden.
Obwohl er vielversprechend ist, steckt der israelische WhiskyMarkt noch in den Kinderschuhen. Andere alkoholische Getränke haben in Tel Aviv bereits den Durchbruch geschafft: Jede gute Bar der Stadt führt das Bier aus der Alexander Brauerei, die nur eine 15-minütige Autofahrt außerhalb im Norden liegt. Dank des sonnigen Klimas ist das Indian Pale Ale ein tropisches Geschmackserlebnis, welches gut gekühlt der perfekte Drink für heiße Sommertage ist – nicht nur in der „Weißen Stadt“.
Der ehemalige Pilot Ori Sagy gründete die Brauerei 2008 und seitdem geht es steil bergauf. Das Bier erlangte schnell einen so guten Ruf, dass sogar der Bier-Gigant Mikkel Borg Bjergsø von der prestigeträchtigen Mikkeller-Brauerei in Kopenhagen mit dem israelischen Newcomer kooperiert. Sagys Getränk überzeugt sowohl gestandene Hopfenfans als auch Nicht-Biertrinker. Es ist ein buttriges Starkbier, das so satt wie ein Malzbier schmeckt und mit einer natürlichen Süße überzeugt.
Sagys Erfolgsgeschichte ist nur eine von vielen. Köche wie Cohen, Agai und Gabso führen das Gelobte Land in eine neue kulinarische Ära – und ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Alex Mead und Sarah Coghill reisten mit Unterstützung von Israel Government Tourist Office und Monarch Airlines nach Tel Aviv.