Kapverden kulinarisch
Sie könnten kaum unterschiedlicher sein: Die neun bewohnten Inseln der Kapverden sind mal grün und trubelig, mal karg und mystisch. Clarissa Hyman hat sie alle ins Herz geschlossen, denn die sympathische Mischung aus exotischen Aromen, bunten Traditionen und gelassenen Menschen sorgt für jede Menge Frohsinn mitten im Atlantik
Er fing einfach an zu singen. Mitten im Fernsehinterview. Der Trainer der kapverdischen Fußballnationalmannschaft war 2012 völlig überwältigt davon, dass sich sein Team für die Teilnahme an der Afrikameisterschaft qualifiziert hatte. Da konnte er nicht anders, als die Biografia Dum Criolo (Biografie eines Kreolen) anzustimmen. Der Song ist seitdem so etwas wie die inoffizielle Nationalhymne der Inseln, ein Liebeslied an die Heimat.
Auf den Kapverden herrscht ein ganz besonderes Lebensgefühl. Wahrscheinlich wegen der Mischung aus Musik, gelassenen Menschen und verschiedenen Traditionen und Lebensweisen.
Der Inselstaat liegt knapp 600 Kilometer vor der Westküste Afrikas und nur zwei Flugstunden weiter südlich als die Kanarischen Inseln. Das Archipel besteht aus etwa 15 Inseln, von denen lediglich neun bewohnt sind. Ein kleiner Überblick: Santiago ist die größte – mit der Stadt Praia, einer quirligen Metropole, und jeder Menge Geschichte. Sal und Boa Vista locken mit langen Sandstränden Badegäste an. Auf Santo Antão und Fogo kraxeln Wanderer durch bizarre Vulkanlandschaften. Überall findet man portugiesische, afrikanische und brasilianische Einflüsse – und Widersprüche. Das fängt schon beim Namen an. Cabo Verde heißt grünes Kap, doch die Inseln sind weder ein Kap noch sind sie alle grün. Sie sind nicht portugiesisch und nicht afrikanisch, sie sind einfach etwas ander(e)s.
Die Musik, die auf den Inseln entsteht, kann die Seele der Kapverden vielleicht am besten einfangen. Spätestens wenn Cesária Évoras samtige Stimme erklingt, ist es um einen geschehen. Die 2011 verstorbene Sängerin von der Insel São Vicente wird bis heute als Königin der Morna gefeiert, eines kapverdischen Musikstils, der dem melancholischen portugiesischen Fado ähnlich ist.
Portugiesische Einflüsse finden sich auch in der Küche der Inseln. Die Geschichte der Kapverden beginnt im 15. Jahrhundert, als Kolonisten aus Portugal auf der transatlantischen Handelsroute unterwegs waren, wo vor allem Sklaven gehandelt wurden, und die bis dahin unbewohnten Inseln besuchten. Die Ribeira Grande, auch Cidade Velha genannt, auf Santiago war die erste Siedlung der Kapverden. Das historische Zentrum gehört heute
zum UNESCO-Welterbe. Die Siedler fanden damals eine vielseitige Landschaft mit dramatischen Vulkanfelsen, feinen Sandstränden, aber wenigen natürlichen Ressourcen vor, von den riesigen Salzpfannen auf Sal mal abgesehen. Doch das konnte sie nicht abschrecken. Sie ließen ein paar Ziegen frei, die das Buschwerk der Inseln abgrasten und ihnen zuverlässig Fleisch, Milch, Butter und Käse lieferten. Der Ziegenkäse hat bis heute einen festen Platz in der Küche der Kapverden. Nach fast jedem Essen wird er in Kombination mit kandierter Papaya serviert. Im Volksmund heißt dieses Mini-Dessert „Romeo und Julia“. Warum? Ganz einfach, weil die beiden nun mal zusammengehören.
Im Jahr 1975 erklärte dann die República Cabo Verde ihre Unabhängigkeit von Portugal. Aristides Pereira wurde erster Präsident des Landes und stand zunächst vor schwierigen Aufgaben: Die Staatskassen waren leer, und die Arbeitslosigkeit war hoch. Doch das Land konnte schrittweise aufgebaut werden und hat sich auch dank des Tourismus gut entwickeln können. Heute ist der Inselstaat eines der wohlhabendsten Länder Afrikas – mit vorbildlicher Regierungsführung. Doch die Weltwirtschaft hält die Kapverden ebenso in Atem wie der Wind des Atlantiks, der mal aus der einen, mal aus der anderen Richtung bläst.
In den Straßen der größten beiden kapverdischen Städte Praia und Mindelo ist das Leben mit Fußgängerzonen, Einkaufsstraßen und Cafés modern. Doch auch hier sieht man halb fertige Häuser neben schicken Design-Apartments. Einer, der sich auf vielen Ebenen mit den komplexen Prozessen der Entwicklung seines Landes beschäftigt, ist Leão Lopes. Er ist der ehemalige Kultusminister der Kapverden, Professor, Schriftsteller und Filmemacher. Neben all dem hat er auch noch das
Restaurant Babilónia eröffnet. Die Non-Profit-Kooperative liegt auf der eher ruhigen Insel Santo Antão. Einheimische Frauen verarbeiten in der Küche ihr Gemüse aus dem Garten und Fleisch von selbst gezüchteten Tieren. Die Gerichte, beispielsweise gegrillter Schweinebauch oder Ente mit herzhaftem Maisbrei, sind köstlich. Das Restaurant gilt als Vorbild für nachhaltigen Tourismus.
Und die Frauen können in ihren Gärten und Plantagen aus dem Vollen schöpfen, denn die Vielfalt an exotischem Obst und Gemüse ist groß: Es gibt Karotten, Kartoffeln, Süßkartoffeln, Kürbis, Kohl, grüne Bohnen, Maniok und Yamswurzel. Mangos und Guaven, Papaya, Quitte und Zimtapfel werden entweder frisch gegessen oder eingekocht. Die Natur auf den Inseln ist dabei auch immer wieder für Überraschungen gut: Wenn niemand damit rechnet, sprießen unverschämt süße Erdbeeren aus dem Boden, der Saft vom Affenbrotbaum ist dagegen unerwartet sauer, aber erfrischend.
Ein weiteres Überbleibsel aus portugiesischer Zeit sind die Backtradition und das erstklassige Brot, das man auf den Inseln bekommt. Im charmanten Städtchen São Filipe auf Fogo liegt der Duft von frischem Brot in der Luft. Er weht durch die schmalen Kopfsteinpflastergassen. Maria Augusta – so altehrwürdig wie die bunten Häuser in ihrer Nachbarschaft – hat Butterrollen, Käseküchlein und Honigkekse gebacken. Das macht sie schon, solange sie denken kann – und so gut, wie kaum jemand anderes.
Was herzhafte Speisen angeht, fängt in der kapverdischen Küche alles mit Zwiebeln, Tomaten und Knoblauch an. Viele Gerichte werden je nach Region abgewandelt und Zutaten ausgetauscht. Es gibt aber auch Spezialitäten, die man so nur an einem bestimmten Ort bekommt, wie etwa den Cachupa-Eintopf mit Gerste in São Vicente, ein Gericht aus Bohnen, Rührei und frischem Koriander in Santo Antão oder den einzigartigen Fischeintopf Cozido de piexe mit Kokosnussfleisch und -milch, Bohnen, Reis und Wachteleiern, der traditionell am Aschermittwoch auf Santiago aufgetischt wird.
Nun zu den Getränken: Die Portugiesen haben den Kaffee mit auf die Inseln gebracht, und die Plantagen hatten bis heute über 300 Jahre lang Zeit, sich an das trockene Klima der Vulkaninseln Fogo und Santo Antão anzupassen. Das Ergebnis ist ein aromatischer Kaffee, der nach Hibiskusblüten schmeckt und sanft im Abgang ist.
Auch der Weinanbau auf Fogo ist Jahrhunderte alt. Eine der wohl spektakulärsten Winzereien ist Chã Vinho do Fogo. Sie liegt mitten im Vulkankrater im Tal Chã das Caldeiras, umgeben von mächtigen Felsen. Über der ganzen Kulisse thront der rauchende Gipfel des Vulkans Pico do Fogo. Es scheint wie ein Wunder: Direkt neben der kargen Lavalandschaft stehen Weinhänge, dazwischen blühen Granatapfelbäume, und über allem liegt eine magische Ruhe.
Das Zuckerrohr kam über Afrika auf die Kapverden. Seit je verwenden die Insulaner seinen Sirup für Konfekt mit Kokosnuss, Bananen, Kürbis oder Papaya. Es ist auch Grundlage für einen hochprozentigen Schnaps, den Grogue, der auf den Kapverden als Lebenselixier angesehen wird. In den zerklüfteten
„Im charmanten Städtchen São Filipe auf Fogo liegt der Duft von frischem Brot und Gebäck in der Luft. Er weht durch die schmalen Kopfsteinpflastergassen bis hinunter zum Meer“
Bergen von Santo Antão wird Zuckerrohr auf steilen Feldern angebaut, mit alten Stahlwalzen ausgepresst und in Kupferkesseln zum Kochen gebracht, bis endlich das fertige Destillat herauströpfelt. Die Produktion ist echte Handarbeit, man braucht Geduld und jede Menge Übung. Am Ende schmeckt der Grogue dann aber doch bei jedem Produzenten anders. Von den ganz einfachen Bränden aus kleinen Dörfern und den großen Ketten, die mit Zusätzen arbeiten, sollte man allerdings die Finger lassen. Eine sichere Bank ist die Brennerei Mestres das Ribeiras. Wem der Grogue pur zu stark ist, der sollte es mit Ponche probieren. Diese etwas abgeschwächte Variante wird mit Honig, Ingwer und Zitrusfrüchten getrunken, was den Drink herrlich süß und gefährlich süffig macht.
Ein kreolisches Sprichwort sagt, dass zwei Unzertrennliche wie Mais und Bohnen sind, die man hier immer zusammen anpflanzt. Vor allem Mais ist auf den Kapverden omnipräsent und Basiszutat für viele Gerichte. So wie für Cachupa, einen Eintopf, der lange vor sich hin köcheln muss und neben Bohnen alles enthalten kann, was die Vorratskammer hergibt. Was am Ende übrig bleibt, wird mit einem Ei in der Pfanne gebraten und zum Frühstück gegessen.
Beliebt ist auch gemahlener Mais, der hier Cuscus heißt und nicht mit dem nordafrikanischen Couscous zu verwechseln ist. Er wird in einem blumentopfähnlichen Gefäß gedämpft und später mit Zuckerrohrsirup gesüßt. Puddings und Brote
werden aus Grieß oder Mehl des weißen Zuckermaises gemacht. Der ist zwar auf den Inseln heimisch, wird aber immer seltener angebaut.
Laut und ungestüm wird es auf dem Fischmarkt in Mindelo, wo das landet, was den kleinen Fischerbooten in Küstennähe ins Netz geht. Sobald die Fischer an Land sind, übernehmen deren Ehefrauen das Geschäft. In der überdachten Markthalle rufen alle durcheinander, lachen und sortieren resolut ihre Ware auf den glänzenden Steinplatten: Thunfisch, Wahoo, Zackenbarsch, Oktopus und Makrele. In einer Ecke des Marktes verköstigt ein Imbiss hungrige Einkäufer. Im Angebot sind Cachupa, Hühnersuppe, würzige Fischbrühe und Platten mit dampfendem Reis und Bohnen.
Der Tatendrang der Insulaner, ihre Kreativität und ihr Mut, einfach auszuprobieren, spiegelt sich auch in der Restaurantszene wider. Junge Köche kommen nach Stationen im Ausland auf die Inseln zurück und geben traditionellen Gerichten eine neue Note. Im Oásis Praiamar in Praia hat Amílcar Lopes eine innovative Speisekarte entworfen, sein Highlight ist eine moderne Variante des CachupaEintopfes. Ein anderer talentierter Rückkehrer ist Amílcar Tavares. Er arbeitet im Dokas in Mindelo am liebsten mit lokalen Produkten. Unbedingt probieren sollte man sein Hummer-Carpaccio.
Obwohl es das ganze Jahr über Makrelen gibt, werden die meisten im Frühsommer gefangen. In der trubeligen Stadt Mindelo feiert man den Fisch sogar mit einem eigenen Festival, dem Kavala Fresk. Auf klapprigen Kohlegrills zischt und bruzzelt er dann, und die Restaurants werben mit neuen Gerichten. Und trotzdem kehren viele Menschen immer wieder in der Bar Bonaventura „Domingas“ein, wo die Makrelen in einer einfachen Marinade aus Öl, Essig, Knoblauch und Petersilie serviert werden. Auf den Straßen spielen Samba-Bands, der Grogue fließt in rauen Mengen. Die Sorgen müssen bis morgen warten. Heute wird gefeiert.